Warum wir eine globale Schuldenbremse brauchen

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November 02, 2011, Neue Zürcher Zeitung

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 

Krisen und andere wirtschaftspolitische Herausforderungen können nicht mehr mit immer neuen kreditfinanzierten Ausgaben angegangen werden. In den Industriestaaten besteht kaum mehr Spielraum. Die Schweiz und Deutschland mit ihren Schuldenbremsen könnten Vorbild für ein Reformmodell der G-20-Länder werden. Von Klaus F. Zimmermann

Aus der Traum. Jahrzehntelang glaubten Regierungen überall auf der Welt, Konjunkturkrisen sowie immer neue Erwartungen an den Staat unabhängig von wachsenden Schuldenbergen durch kreditfinanzierte Ausgaben von zunehmend grösserem Umfang lösen zu können. Doch spätestens mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre ist klargeworden, welche dramatischen Folgen diese bequeme Politik hatte. Sie konnte überdies keines der zentralen Zukunftsprobleme lösen. So ist parallel zu den Schuldenbergen auch die Arbeitslosigkeit angestiegen, und für notwendige Zukunftsinvestitionen fehlen nunmehr die finanziellen Handlungsspielräume. Kommende Generationen werden dies zu spüren bekommen. Der Prozess des Umdenkens ist schmerzhaft. Für die Industriestaaten ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, sich auf eine glaubwürdige und langfristige Konsolidierungsstrategie zu verständigen. Neue Krisen und wirtschaftspolitische Herausforderungen können jedenfalls nicht mehr länger mit den Rezepten der Vergangenheit bewältigt werden. Die hohen Staatsdefizite mit all ihren Risiken und Nebenwirkungen sind heute das globale Schicksalsthema Nummer eins.

Überschuldete Industriestaaten

So hat Japan mit 233 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) die höchste Staatsverschuldung unter den Industrienationen. Fast der halbe Haushalt wird über neue Kredite finanziert. Zudem ist die japanische Gesellschaft überaltert, und die demografiebedingten Veränderungen lähmen Wachstum und Beschäftigung, da der Staat keine Ressourcen mehr hat, um dynamisch gegenzusteuern.

Ähnlich droht den USA im laufenden Haushaltsjahr ein neues Rekorddefizit. Im Juni 2011 betrug die Staatsverschuldung dort 98,6 Prozent des BIP. Es ist jedoch wissenschaftlich nachgewiesen, dass das Wirtschaftswachstum spätestens bei Schuldenständen von über 90 Prozent des BIP deutlich negativ beeinflusst wird.

Insgesamt übersteigt in neun Staaten aus der Gruppe der zwanzig wichtigsten Länder der Welt Ende 2011 der Schuldenstand mit mehr als 60 Prozent des BIP den kritischen Schwellenwert des Maastricht-Vertrages. Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Haushaltsdefizite. Dort weisen für das Jahr 2011 zehn Mitgliedsstaaten der G-20 ein Haushaltsdefizit von mehr als 3 Prozent des BIP auf. Projektionen zeigen, dass die Schuldenstandsquote in vielen Ländern dieser Gruppe bis 2016 nicht oder kaum rückläufig sein wird.

Deshalb ist jetzt endgültig der Zeitpunkt gekommen, neben den nur auf Zeit spielenden Rettungsmassnahmen in der Euro-Zone und dem wackligen Schuldenabkommen in den USA endlich strukturelle Reformmassnahmen zur nachhaltigen Überwindung der weltweiten Staatsschuldenkrise zu treffen. Dies gelingt aber nur durch bindende Vereinbarungen. Dafür ist die Gruppe der G-20-Länder, also der führenden Wirtschaftsnationen, der geeignete Rahmen. Sie repräsentieren rund 90 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung, 80 Prozent des internationalen Handels und zwei Drittel der Weltbevölkerung. Die G-20 umfasst mit den Vertretern der EU, der USA und Japans nicht nur die zentralen Schuldensünder, sondern mit den BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China sowie den grossen Entwicklungsländern auch die Wirtschaftsregionen der Welt, deren insgesamt beeindruckendes Wachstum durch die Schuldenkrise besonders bedroht ist.

Die Staats- und Regierungschefs der G-20 haben sich zwar wiederholt mit dem dringenden Thema der weltweiten Schuldenkrise befasst und dazu im Juni 2010 auf ihrem Treffen in Toronto beschlossen, bis 2013 das Staatsdefizit der entwickelten Industriestaaten zu halbieren. Allerdings fehlte diesen Beschlüssen die notwendige zwingende Verbindlichkeit, und die Realität hat sich seitdem deutlich negativer entwickelt als damals erhofft.

Der nächste G-20-Gipfel am 3. und 4. November im französischen Cannes wäre die beste Gelegenheit, bisher Versäumtes nachzuholen. Jedenfalls genügt es nicht, dort lediglich Notmassnahmen gegen die derzeitige Währungs- und Finanzkrise zu beraten. Notwendig ist vielmehr ein Gesamtkonzept, das die weltweite Überschuldung der öffentlichen Haushalte als die wichtigste Herausforderung begreift. Gelingt hier und jetzt keine überzeugende Lösung, werden die Unruhen an den Finanz- und Währungsmärkten nicht aufhören, sondern eher noch zunehmen.

Deshalb sollten die führenden Staats- und Regierungschefs jetzt eine für alle verbindliche Strategie verabreden. Dies geschieht am besten durch eine Verankerung einer Schuldenbremse in den nationalen Verfassungen nach dem Beispiel der Schweiz oder Deutschlands.

Glaubwürdigkeit dank Schuldenbremsen

Eine klug ausgestaltete Schuldenbremse stellt am ehesten sicher, dass der Staatshaushalt über den Konjunkturzyklus mehrerer Jahre hinweg ausgeglichen ist. Die Überwachung müsste durch transnationale, unabhängige Expertengremien gewährleistet werden, die die Regulierung der Fiskalpolitik der Staaten übernehmen. Diese Aufsichtsgremien könnten zum Beispiel für die Euro-Zone beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und für andere Staatengruppen beim Internationalen Währungsfonds (IMF) angesiedelt sein.

Jedenfalls sollten sie befähigt sein, eine regelmässige Evaluierung der nationalen Budgetplanungen zur Einhaltung der Schuldenbremse vorzunehmen. Durch ein solches globales Monitoring würde ein wirksames Frühwarnsystem mit dem Ziel entstehen, zukünftige Staatsschuldenkrisen und die daraus resultierenden Ansteckungsgefahren möglichst zu vermeiden. Ein solches Konzept wäre wichtig, damit Bürger wie Finanzmärkte wieder Vertrauen gewinnen. Die Botschaft muss lauten: Jetzt hat die Entziehungskur begonnen.

Klaus F. Zimmermann ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Bonn und Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA).


Reprinted with permission.

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