Die Zukunft Europas entscheidet sich auf den Arbeitsmärkten

Logo
October 01, 2011, Kölner Stadt-Anzeiger

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)

Eine gemeinsame Zuwanderungsstrategie der EU-Staaten ist dringend erforderlich
 

Unter den Geburtsfehlern des Euro wiegt wohl das Versäumnis am schwerwiegendsten, ihn nicht in eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik eingebettet zu haben. Fiskalische Stabilität und dynamische, durch Migration verbundene europäische Arbeitsmärkte sind deshalb nicht die Eckpfeiler der Währungsunion geworden, obwohl sie unabdingbar für den dauerhaften Erfolg sind. Deshalb wächst der Wirtschaftsraum nicht zusammen und driften gar die Entwicklungen in einzelnen Ländern immer weiter auseinander.

Bedrohliches Gefälle

Diese "ökonomischen Ungleichgewichte" sollen durch eine in dieser Woche verabschiedete Reform des Stabilitätspaktes aufgefangen und korrigiert werden. Dabei kommt allerdings ein Aspekt zu kurz: der Arbeitsmarkt – obwohl gerade hier das Gefälle besonders bedrohlich ist.

So stehen bei der Jugendarbeitslosigkeit Länder mit niedriger Quote wie die Niederlande (derzeit nach Eurostat 7,5 Prozent), Österreich (7,8 Prozent) und Deutschland (9,5 Prozent) Länder mit dramatisch hoher Quote wie Italien (27,6 Prozent), Griechenland (38,5 Prozent) und Spanien (46,2 Prozent) gegenüber.

Hier wächst eine junge Generation ohne Zukunftsperspektiven heran - ein Sprengsatz an unserem wirtschaftlichen und sozialen System. Wenn wir den Euro-Raum zukunftsfest machen wollen, reicht deshalb die momentane Fixierung auf die Fiskalpolitik nicht aus. Durch Sparen allein kommen die Krisenländer nicht wieder auf die Füße. Sie brauchen vor allem flexible Arbeitsmärkte mit wettbewerbsfähigen Strukturen.

Dass dieser mühsame Prozess erfolgreich ist, belegt nicht nur Deutschland. Die Griechen zum Beispiel müssten nur über die Grenze in die Türkei schauen. Sie hat ihren Arbeitsmarkt durch Reformen vorangebracht und gilt deshalb – keineswegs nur wegen des niedrigen Lohnniveaus – heute als attraktiver Standort für internationale Unternehmen. Auch kleine und mittlere Firmen entwickeln dort eine Dynamik, die in weiten Teilen des Euroraumes fehlt. Im neuen Regelwerk des Stabilitäts- und Wachstumspaktes dürfen deshalb nicht nur bessere Kontroll- und Sanktionsmechanismen für ausgeglichene Haushalte verankert werden, sondern müssten ebenso Parameter für die Beschäftigungsentwicklung, für Innovation und Wachstum eingebaut werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss auch die Mobilität innerhalb der EU forciert werden.

Die Chancen des riesigen Binnenmarktes mit seinen rund 500 Millionen Einwohnern werden bislang zu wenig genutzt. Wichtig sind zum Beispiel eine noch durchlässigere Anerkennung von beruflichen Qualifikationen und Ausbildungsabschlüssen; ebenso die Möglichkeit, erworbene Anwartschaften aus den öffentlichen Sozialversicherungen unbürokratisch über Grenzen hinweg übertragen zu können.

Die Mobilität in der EU ist nach wie vor aus vielerlei Gründen gering. Es ist deshalb durchaus eine kluge Option, Jugendliche aus den Krisenländern verstärkt dorthin zu vermitteln, wo Fachkräfte gesucht sind, etwa in Deutschland. Junge Menschen erhalten so Chancen, die sie derzeit zu Hause nicht bekommen können. Später kehren sie mit den gewonnenen Erfahrungen wieder zurück und helfen ihren Heimatländern bei der weiteren Entwicklung.

Hier könnte die Europäische Union mehr tun. Etwa durch Stellenbörsen wie die Datenbank "Europass", bei der sich zum Beispiel mehr als 30 000 Griechen mit Angaben zu Bildungsstand und Qualifikation registrieren ließen. Oder durch Servicestellen, die Wanderungswillige frühzeitig beraten und bei der beruflichen Neuorientierung begleiten. Gleiches gilt für die Förderung von Fremdsprachenkenntnissen.

Offen für den Wettbewerb

Ebenso brauchen wir einen europäischen Arbeitsmarkt, der offen ist für den Wettbewerb mit den übrigen großen Regionen der Welt. Daher ist eine gemeinsame Zuwanderungsstrategie der EU-Staaten dringlich. Sie wäre gerade jetzt ein deutliches Signal der Handlungsfähigkeit.

Ein gemeinsamer Währungsraum funktioniert nicht ohne leistungsfähige Arbeitsmärkte. In dem die Menschen dorthin gehen, wo sie Arbeit finden. Diese Lektion muss Europa jetzt lernen.

Klaus F. Zimmermann ist Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn und berät die Europäische Kommission zu Fragen der Beschäftigungspolitik


Reprinted with permission.

Back