Die Zukunft der Arbeit

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July 2002, Sozialextra

(Gastbeitrag Holger Hinte)
 

Die Zukunft der Arbeit - Soziale Arbeit muss experimentierfreudig sein

Am Thema "Zukunft der Arbeit" scheiden sich die Geister. Es fehlt nicht an Stimmen, die das baldige Ende der Arbeitswelt prognostizieren. Gleichzeitig sagen andere voraus, dass das genaue Gegenteil eintreten werde - das Ende der Arbeitslosigkeit nämlich. Während die einen auf die voranschreitende Rationalisierung und das Aussterben der Jobs in der alten Ökonomie verweisen, machen die anderen neben der Entwicklung im Dienstleistungsbereich vor allem den demographischen Wandel zum Kronzeugen einer Entwicklung, an deren Ende ein akuter Mangel an Arbeitskräften drohe.

Hüben wird Eigen-, Bürger-, Familien-, Bildungs- oder Tauscharbeit als Ausweg aus der Sinnkrise der traditionellen Erwerbsarbeit gepriesen - drüben wird dem zukünftigen "Wissensunternehmer in eigener Sache" gehuldigt, dessen Zukunftsperspektiven rosig seien.

Wie so oft könnte die "Wahrheit" in der Mitte liegen. Während auf der einen Seite das Phänomen des Fachkräftemangels Defizite in Ausbildung und Zuwanderungssteuerung offenlegt und den Hochqualifizierten in der Tat glänzende Aussichten bescheren dürfte, zeugt die dramatisch hohe Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten in allen westlichen Marktwirtschaften von einem Strukturwandel, dessen dauerhafte Verlierer bereits feststehen. Das "Ende der Arbeit" alter Prägung dürfte angesichts dieser drohenden Zerklüftung des Arbeitsmarktes für manche Menschen ebenso wahrscheinlich werden wie für andere ein "Ende der Arbeitslosigkeit".

Die nachfolgenden, bewusst sehr zugespitzt formulierten Thesen laden zur Diskussion über eine Entwicklung ein, der wir uns nicht werden entziehen können, die aber gegenwärtig noch alle Chancen zur aktiven Gestaltung beinhalten - den Willen vorausgesetzt, diese Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen.

These 1: Die Zukunft der Arbeit wird Vertrautes durch Unübersichtlichkeit, neue Freiheiten, aber auch neue Unsicherheiten ersetzen.

Das sogenannte "Normalarbeitsverhältnis" mit seinem über ein ganzes Arbeitsleben lang geregelten Verlauf stirbt einen langsamen Tod. Dieser Prozess hat schon längst begonnen. Arbeitszeiten und Arbeitsformen werden in Zukunft immer weniger einem 08/15-Schema gehorchen. Die Mehrzahl der Beschäftigten wird als neuen Normalfall Arbeits-, Weiterbildungs-, Familien-, Kultur- und Frei-Zeit individuell kombinieren können. Der Heimarbeitsplatz wird an Bedeutung wachsen - das schafft neben neuen Perspektiven für die Vereinbarung von Familie und Karriere auch neue Probleme, denn soziale Kontakte entfallen. Die Mitarbeiterführung wird sich dessen annehmen müssen.

Die Wochenarbeitszeit wird weiter zurückgehen, die Lebensarbeitszeit wird aber dennoch zunehmen. Denn ein Ruhestand mit Abstellgleismechanik alter Prägung wird von vielen Arbeitnehmern und Arbeitgebern nicht mehr akzeptiert werden. Die Politik der Ausgrenzung älterer Arbeitnehmer steht zur Disposition. Der Mangel an Jüngeren macht die jungen Alten wieder attraktiv - ganz zu schweigen von der sonst fragwürdigen Finanzierung der Altersvorsorge.

Die Unternehmen werden sich mehr und mehr nach den Wünschen ihrer Mitarbeiter und Bewerber richten müssen. Deren Verhandlungsmacht wird wachsen - gar nicht einmal nur im Hinblick auf die Entlohnung, sondern ebenso in bezug auf die Arbeitsbedingungen und die individuellen "Extras". Das Zeitalter des Kotaus gegenüber tariflichen, betrieblichen und sonstigen Zwängen ist für die Gruppe der qualifizierten Beschäftigten bald endgültig vorbei.

Die "Befreiung" der Arbeitnehmerinteressen von gewerkschaftlichem Einfluß ist ebenso unaufhaltsam wie die Emanzipation der Unternehmer von ihren Verbänden. Neue Formen der innerbetrieblichen Interessenvertretung werden sich etablieren. Die neue Solidarität und Mitbestimmung der Arbeiterklasse wird in vielen Fällen eine der Kapitaleigner in Mitarbeiterbeteiligungs-Programmen sein.

Wer es sich finanziell erlauben kann, wird flexible Erwerbsarbeit mit anderen Formen sinnvoller Beschäftigung kombinieren. Selbstverwirklichung und soziales Engagement brauchen dabei keine Widersprüche zu sein. Ein Sabbatical kann sehr wohl auch in den Gemeinsinn investiert werden.

Zugleich ergeben sich neue Chancen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit für mehr Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt. Individualisierung und Flexibilisierung sind keineswegs allein Ausdruck unternehmerischen Kalküls, sondern sehr wohl auch eine Reaktion auf konkrete und immer selbstbewußter geäußerte Gestaltungswünsche der neuen Arbeit(sunter)nehmer.

Demgegenüber werden viele geringer Qualifizierte weniger und unsicherer arbeiten und damit eine entsprechend unsicherere Existenz und Altersvorsorge erwirtschaften. Marginale Beschäftigungsverhältnisse werden im Bereich der einfachen personenbezogenen Dienstleistungen dominant sein. Nur allzu oft werden mehrere solcher Jobs kombiniert werden müssen, um ein akzeptables Einkommen zu erzielen. Der Trend zu diversen Formen unechter Selbständigkeit wird anhalten - doch längst nicht immer auf freiwilliger Basis. Die Folgen für die Einkommensverteilung sind offensichtlich: sie wird in Zukunft ungleicher denn je sein.

These 2: Die Arbeitsmarktpolitik gerät mehr und mehr in eine Zwei-Fronten-Stellung hinein. Ein zentrales Problem auf den westlichen Arbeitsmärkten dürfte schon in näherer Zukunft neben einer persistent hohen Arbeitslosigkeit der Mangel an Arbeitskräften sein.

Vor allem in Europa wird die Erwerbspersonenzahl aufgrund des demographischen Wandels stark rückläufig sein - so stark, dass der Mangel in vielen Branchen nur noch mit konsequenter Rationalisierung und Produktionsverlagerung aufgefangen werden kann. Denn auch eine Neuentdeckung der älteren Arbeitnehmer und eine verstärkte Frauenerwerbstätigkeit dürften nur begrenzte Wirkung haben.

Ein starker Rückgang der Zahl der Erwerbsfähigen ist unausweichlich, selbst wenn eine moderate jährliche Zuwanderung unterstellt wird. Während ohne Zuwanderung die Gesamtbevölkerung bis 2030 um etwa 10 Millionen Personen zurückgehen würde, entstünde auch bei einem Wanderungssaldo von jährlich 200.000 - dies entspricht in etwa dem langjährigen Durchschnitt - ein Bevölkerungsschwund von rund 3 Millionen Personen. Die Auswirkungen auf das Erwerbspersonenpotenzial sind offensichtlich - und sie sind es im übrigen bereits zu einem weit früheren Zeitpunkt, denn schon ab 2010 wird sich die demographische Schrumpfung stark beschleunigen. Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und vor allem an Facharbeitern wird bald ein akuter sein und die Probleme der arbeitslosen Geringqualifizierten aus den Schlagzeilen verdrängen.

These 3: Der Fortschritt ist sowohl Dr. Jekyll als auch Mr. Hyde.

Als Dr. Jekyll sorgt er einerseits für millionenfache neue Beschäftigungschancen. Der Dienstleistungssektor wird den Arbeitsmarkt der Zukunft beherrschen. Wieviele neue Jobs er wirklich bringen wird, das hängt auch davon ab, ob wir den Einzug der neuen Technologien nach Kräften fördern, oder ihn nach Kräften bremsen. Doch als Mr. Hyde schluckt derselbe "Fortschritt" zahlreiche Jobs in der alten Ökonomie, die Opfer von Strukturwandel, Rationalisierung und Fusion werden. Mr. Hyde gestattet es obendrein den global players, opulente Unternehmensgewinne einzufahren und Rekordbilanzen vorzulegen, gleichzeitig aber Stellen zu streichen und dafür den Beifall ihrer Aktionäre zu erhalten. Effizienzdenken wird zum Meister des Arbeitsmarktes.

Die Wirtschaftsgeschichte zeigt zwar, dass der technische Fortschritt nach einer Phase der Rationalisierung stets neue Beschäftigung geschaffen hat. Die Globalisierung setzt jedoch viele alte Gesetzmäßigkeiten außer Kraft oder sorgt für deren Outsourcing an anderen Ort. Deshalb wäre Passivität Ignoranz. Aktive Gestaltung ist Pflicht, um das Treiben von Mr. Hyde in den Griff zu bekommen und zugleich Dr. Jekyll freie Hand zu lassen.

These 4: Die Zukunft der Arbeit gehört den Generalisten und Bildungsunternehmern.

Sie gehört denen, die eine solide Grundausbildung mitbringen und auf den rasanten Wandel mit ebenso rascher Aktualisierung des eigenen Wissens reagieren. Der Trend zum Spezialistentum in der Ausbildung muss gestoppt werden. Die Vorstellung, dem Ausbildungsbetrieb maßgeschneiderte Arbeitskräfte entnehmen zu können, läßt zwar kurzfristig die Kosten sinken. Mittelfristig aber entstehen entweder hohe Investitionskosten, um einen Verlust von Humankapital zu vermeiden, oder Arbeitslosigkeit ist die Folge, weil die Zeit über die Qualifikation hinweggerast ist.

Ein häufigerer Arbeitsplatzwechsel in- und außerhalb eines Betriebes wird bald der neue Normalfall sein. Das erfordert nicht nur räumliche, sondern auch berufliche Mobilität. Hier ist der Generalist, der das Spezialwissen berufsbegleitend erwirbt und von seinem Arbeitgeber entsprechende Bildungsgutscheine erhält, dem Spezialisten gegenüber im Vorteil. Der Fachidiot wird in der komplex vernetzten Zukunft weniger denn je ein guter Ratgeber sein.

Schlüsselqualifikationen wie der Fähigkeit zu vernetztem, strategischem Denken und zur interkulturellen Teamarbeit sowie sprachlichen und sozialen Kompetenzen kommt ein immer höherer Stellenwert zu. Zentrales Element wird jedoch die Bereitschaft sein, sich permanent in neue Zusammenhänge einzuarbeiten und eigenverantwortlich nicht nur unternehmensbezogene, sondern auch Weiterbildungsentscheidungen zu treffen, um das eigene Humankapital "fit" zu halten.

Der Qualifizierung von älteren Arbeitnehmern muss schon bald verstärkte Aufmerksamkeit gelten. Denn auf sie wird es in Zukunft wieder ankommen. Die Universitäten sollten deshalb berufsbegleitende Angebote erweitern. Und die Unternehmen müssen nicht nur mehr, sondern auch weitsichtiger aus- und fortbilden. Es wäre entschieden zu billig, allein auf Green Cards oder Zuwanderungsquoten zu pochen.

Dem Grundübel einer zu geringen oder arbeitsmarktfernen Qualifikation muss weit konsequenter als heute vorgebeugt werden. Die Förderung von Lernschwächeren muss schon im Grundschulalter beginnen, um zu verhindern, dass, wie heute, jeder 7. Jugendliche ohne abgeschlossene Berufsausbildung bleibt oder junge Zuwanderer ihren Startnachteil nie loswerden.

Bildung wird in Zukunft mehr und mehr an die Stelle des direkten Steuertransfers treten und zum neuen Umverteilungsgut der Arbeitsgesellschaft werden. Die Globalisierungsgewinne verschaffen dazu die erforderlichen Mittel. Wissen wird obendrein zum maßgeblichen Standortfaktor im globalen Wettbewerb. Die Stärkung der Ressource Wissen muss endlich die milliardenschwere Subvention von Zukunftslosigkeit ersetzen.

Für die heute schon Geringqualifizierten läuft allerdings bereits der Wettlauf mit der Zeit. Ihrer Qualifizierbarkeit sind oft natürliche Grenzen gesetzt. Hier kommt es um so mehr darauf an, neue Märkte für ihre Produkte und Dienstleistungen zu erschließen.

These 5: Deutschland braucht einen besseren "Service".

Dass unsere Gesellschaft sich davor scheut, einfachere Dienste anzubieten und nachzufragen, ist eine Ursache des defizitären Arbeitsplatzangebots für geringer Qualifizierte. Oft genug fehlt aber auch nur die nötige Information und eine lokale Relaisstation, die Angebot und Nachfrage zuverlässig koppelt.

Wer einmal kurzfristig eine stundenweise Kinderbetreuung oder Ähnliches organisieren wollte, weiß, wovon die Rede ist. Denn das individuelle Zeitmanagement ändert sich und wird den Bedarf an einfachen Dienstleistungen wachsen lassen. Was bislang fehlt, ist der flexible individuelle Zuschnitt auf die Bedürfnisse des Kunden und die Bündelung mehrerer solcher Jobs zu Teil- oder Vollzeitstellen. Professionelle lokale Dienstleistungsagenturen könnten hier einen Ausweg bieten und geringer Qualifizierte in Beschäftigung bringen.

Ein erhebliches Beschäftigungspotenzial wird im übrigen dadurch erstickt, dass beispielsweise in der Wohlfahrtspflege Monopolisierung an der Tagesordnung ist und private Anbieter durch Bürokratie weggebissen werden. Mehr Markt ist hier nötig, neue Arbeitsplätze wären möglich. Und es könnten noch mehr werden, wenn der Mut zum Unbequemen vorhanden wäre.

Der Zivildienst etwa gehört aus ökonomischer Sicht abgeschafft. Wenn viele Einrichtungen heute ohne "ihre Zivis" nicht mehr existieren können, dann ist das eine bedenkliche Fehlentwicklung. Arbeitsmarkt und freier Wettbewerb sind allemal besser geeignet, auf diesem Feld Bedarfe zu decken. Reguläre Beschäftigung würde entstehen, Marktpreise könnten im Bedarfsfall per Gutschein subventioniert werden. Dem Staat bliebe die Verantwortung für ein flächendeckendes Angebot und die nötige Qualitätskontrolle. Zahllose neue Jobs im Bereich einfacher bis mittlerer Qualifikation könnten auf diese Weise entstehen.

These 6: Die Zukunft der Arbeit verlangt nach Reformen des Wohlfahrtsstaates, aber sie ruft auch nach seinem Schutz.

Denn er liefert das Fundament für die individuelle Risikobereitschaft, auf die es im Zeitalter der Globalisierung mehr denn je ankommt. Das bisherige System der Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe sollte im Sinne einer "Welfare to Work" reformiert werden. Zum Beispiel würde ein System von Lohngutscheinen anstelle der bisherigen Arbeitslosenunterstützung den Anreiz erhöhen, sich aktiv um Arbeit zu bemühen und das Interesse eines potenziellen Arbeitgebers an der Beschäftigung eines arbeitslosen Bewerbers steigern, da er dessen Gutschein als Lohnkostenzuschuß einlösen könnte.

Der besondere Charme eines solchen Ansatzes läge darin, dass er mit Anreizen zur Qualifizierung und zur Risikobereitschaft kombiniert werden könnte. Der Gutschein könnte höher ausfallen, wenn eine Weiterbildung absolviert wurde, wenn ein befristeter Job übernommen wird oder Langzeitarbeitslosigkeit beendet werden soll.

Darüber hinaus wird man ernsthaft darüber nachdenken müssen, ob der Bezug von Sozialhilfe generell mit der Verpflichtung zu einer sozial nützlichen Tätigkeit verknüpft werden sollte, um auch auf diese Weise einen starken Anreiz zu schaffen, sich aktiv um reguläre Erwerbsarbeit zu bemühen. Im Zusammenspiel mit einer Subventionierung eines expliziten Niedriglohnsektors ergäbe sich hieraus ein gute Chance zur Verringerung der Arbeitslosigkeit. Der Begriff des "Kombilohns" simplifiziert die Möglichkeiten und Anreizmechanismen, die sich hier bieten. Die Etablierung eines Niedriglohnbereichs ist kein sozialpolitischer Sündenfall, sondern ein auch in sozialer Hinsicht notwendiger Versuch, die Beschäftigungschancen von Ungelernten zu verbessern.

An weiteren Reformen, wie vor allem einer Individualisierung der Sozialversicherungen, wird kein Weg vorbeiführen. Die Globalisierung zwingt dazu, Solidarität und Eigenverantwortung neu zu akzentuieren. Der Freiraum für private Vorsorge sollte ergänzt werden durch eine Grundsicherung, die auch Nichterwerbstätigen zukommt, ohne sie zu Sozialhilfeempfängern zu degradieren. Der Wohlfahrtsstaat ist entgegen aller verfrühten Abgesänge kein Auslaufmodell, aber eine vorausschauendere Modellpflege täte not.

These 7: Der Arbeitsmarkt braucht dringend mehr Kundenorientierung.

Eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik erschöpft sich nicht in der Verwaltung von Arbeitslosigkeit, sondern schließt einen Vertrag über Leistung und Gegenleistung mit Arbeitsuchenden. Im gleichen Maße, wie dabei der bislang stigmatisierte Arbeitslose als Kunde mit Entscheidungsmacht über die vermittelnde Institution ausgestattet wird, kann auch der generelle Vermittlungserfolg wachsen. Staatliche und private Vermittler werden in Zukunft in einen uneingeschränkten Wettbewerb treten. Die inzwischen endlich vorgesehene Vergabe von Vermittlungsgutscheinen an Arbeitslose, mit denen diese auch private Vermittler engagieren können, ist ein erster Schritt.

Dem professionellen, von Unternehmerseite initiierten "Headhunting" muss ein ebenso professionelles "Jobhunting" zur Seite treten. Schon unmittelbar nach der ausgesprochenen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses und nicht erst nach der eingetretenen Arbeitslosigkeit müssen die Vermittlungsbemühungen beginnen und den Arbeitsuchenden aktiv einbinden. Die im "Job-Aqtiv-Gesetz" angelegte Philosophie des Förderns und Forderns weist durchaus in die richtige Richtung.

These 8: Die Individualisierung der Arbeitswelt wird Freiheit und Gemeinsinn unserer Gesellschaft auf die Probe stellen.

Der soziale Kitt, den die Gemeinsamkeit am Arbeitsplatz bislang erzeugen konnte, könnte porös werden durch die modulare Gestaltung der Wertschöpfung und die Schwächung von Gruppeninteressen. Es ist keineswegs ausgemacht, dass die Erweiterung der individuellen Spielräume schon ausreicht, um zur Solidarität zu motivieren. Gesucht ist eine tragfähige Brücke zwischen Freiheit und Gemeinsinn.

"Bürgerarbeit" dürfte zwar als Ersatz für reguläre Beschäftigung ausscheiden, da sie keine adäquate Existenz- und Alterssicherung vermitteln kann. Unter ökonomischen Gesichtspunkten sollte das Ehrenamt ohnehin auf Bereiche konzentriert bleiben, die nicht marktfähig gemacht werden können. Dort, wo dies möglich ist, muss sich Bürgerarbeit ganz zurückziehen. Dennoch bleiben genügend Einsatzbereiche für das Ehrenamt, das damit ein wertvoller Stützpfeiler für das Gemeinwohl bleiben wird.

Und wie wäre es darüber hinaus mit einer "Bürgerzeit" der jungen Generation als Ersatz für die bisherigen Pflichtdienste? Sie könnte Freiwilligkeit durch Bildungsgutscheine belohnen, aber ebenso auch obligatorischen Charakter haben. Denn Freiheit verpflichtet auch. Natürlich dürfte auch eine "Bürgerzeit" keinen Neben-Arbeitsmarkt begründen, aber sie könnte vielleicht mithelfen, diejenigen gesellschaftlichen Tugenden zu konservieren, die auch in der Zukunft der Arbeit wertvoll bleiben werden.

Für die Sozialarbeit bedeutet der Wandel und die "Unsicherheit in der Unübersichtlichkeit" eine große Herausforderung. Auch ihre Angebote werden mit der Dynamik der skizzierten Entwicklung nur Schritt halten können, wenn sie experimentierfreudig und optimistisch zum Beschreiten neuer Wege bereit ist. Viele Menschen werden Sozialarbeit (als Teil bürgerschaftlichen Engagements im Rahmen von Bürgerarbeit) als Identifikationsvehikel nutzen und in ihr aktiv werden wollen, vermutlich noch mehr Menschen werden diese Hilfe in Anspruch nehmen und sich dabei von der sozialen Dienstleistung die Individualität und Flexibilität erhoffen, die von ihnen selbst in der neuen Arbeitswelt erwartet wird.


Reprinted with permission.

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