Auf dem Arbeitsmarkt kehren große Besen wirklich gut

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January 16, 2002, Handelsblatt

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 

Der drastische Einbruch der Weltkonjunktur und die daraus folgende milde Rezession in Deutschland hat jäh alle Hoffnungen auf einen baldigen merklichen Abbau der Arbeitslosigkeit zerstört. Vielmehr droht eine Wiederholung des bekannten Phänomens des hohen Beschäftigtenabbaus in der Krise, der nach einer Erholung der Konjunktur nicht im gleichen Umfang wieder rückgängig gemacht wird. Insbesondere Menschen mit geringer Qualifikation geraten dabei in die Gefahr, dauerhaft aus dem Sektor regulärer Beschäftigung vertrieben zu werden. Für dieses Jahr ist im Durchschnitt mit gut 4 Millionen zu rechnen, ohne Aussicht auf baldige Besserung.

Dabei könnte man angesichts der öffentlichen Diskussion dieser Tage fast den Eindruck gewinnen, die Lösung des Arbeitslosigkeitsproblems sei in Sicht. In allen politischen Lagern und gesellschaftlichen Gruppen werden "Kombilöhne" als arbeitsmarktpolitische Siebenmeilenstiefel gehandelt, die Fortschritte bei der strukturellen Arbeitsmarktpolitik versprechen. Menschen mit geringer Qualifikation und Erfolgsaussichten sollen neue Arbeitschancen erhalten. Richtig ist dabei, dass Massenarbeitslosigkeit und andere Probleme des Arbeitsmarktes primär durch Störungen im Niedriglohnsektor bedingt sind.

Tatsächlich verbinden sich mit den Kombilöhnen eine Vielzahl von Konzepten ganz unterschiedlichster Ausrichtung. Eine differenzierte Betrachtungsweise steht an. Sollen zur Arbeitsaufnahme Subventionen an Arbeitgeber oder Arbeitnehmer gezahlt werden? Sollen dabei nur die Sozialabgaben oder auch der reguläre Lohn finanziert werden? Geht die Unterstützung nur an Menschen, die reguläre Beschäftigung frisch aufnehmen oder auch in bereits existierende Beschäftigungsverhältnisse hinein? Soll der gesamte Niedriglohnsektor oder nur ein Teil flächendeckend subventioniert werden?

Das sind zu viele Fragen, als dass realistischerweise simple Antworten erwartet werden könnten. Zunächst muss geklärt werden, was das konstituierende Problem der Arbeit ist - fehlende Jobs, falsche Anreize zur Arbeitsaufnahme oder Arbeitsunwilligkeit? Ist das primäre Ziel Beschäftigungssteigerung, Erhöhung der Flexibilität oder der Abbau der Arbeitslosigkeit? Nur mit den richtigen Prioritäten besteht Aussicht, rasch Erfolge zu erzielen. Vieles spricht dafür, zunächst einmal den Abbau bestehender Arbeitslosigkeit und die Vermeidung zusätzlicher Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Dies macht manches Konzept zu einem Projekt niedriger Priorität. Eine Ausweitung der 325 Euro - Jobs etwa kann zwar mehr Beschäftigung und Flexibilität schaffen. Dies wird aber primär einer Gruppe von Nebenverdienern wie Hausfrauen, Schülern und Studenten zugute kommen. Bei einer deutlichen Erhöhung der Grenzen wächst die Gefahr, dass reguläre Stellen zerlegt und Problemgruppen vermehrt arbeitslos werden. Das sollte derzeit dringend vermieden werden.

Die bundesweite Ausweitung des Mainzer Modellversuchs, die jetzt von der Bundesregierung vorgesehen ist, war vom Arbeitsministerium bereits lange geplant. Die Erfolgschancen daraus sind aber mäßig. Dabei ist den Initiatoren guter Willen nicht zu bestreiten. Es stellt einen Versuch dar, durch finanzielle Anreize das Arbeitsangebot zu steigern und somit die sogenannte "Sozialhilfefalle" zu bekämpfen. Dabei werden zeitlich begrenzte Zuschüsse zum Kindergeld und zu den Sozialabgaben gezahlt, wobei allerdings der Arbeitgeber leer ausgeht. Richtig an diesem Ansatz ist die Anerkennung der Tatsache, daß das Steuer- und Transfersystem im unteren Einkommensbereich leistungsfeindlich ist. Allerdings sind die Anreize eher bescheiden.

Und selbst wenn: Zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit kann es nur kommen, wenn überwiegend bisher Arbeitslose das Programm annehmen und sie auch einen Job finden. Erwartet man, daß die Arbeitslosigkeit wesentlich ein Problem nicht vorhandener Jobs ist, so könnte das Mainzer Modell "Amok laufen". Dies wäre dann der Fall, wenn insbesondere relativ gut qualifizierte Frauen aus der "Stillen Reserve", die bisher nicht arbeitslos gemeldet sind, auf den Arbeitsmarkt drängen und gering qualifizierten Männern die Jobs wegschnappen.

Dagegen ist eine mangelnde Akzeptanz, d. h. eine geringe Beteiligung für einen auch bundesweiten Modellversuch zum Test der Qualität des Instrumentes nicht ein grundsätzliches Problem. Tatsächlich sollen Erfahrungen gesammelt werden, wie sich die Geförderten im Job kurzfristig bewähren und wie gut sie auf Dauer im ersten Arbeitsmarkt bestehen. Durch die geringen Fallzahlen im Testgebiet Rheinland-Pfalz besteht allerdings die Gefahr, für statistisch valide Bewertungen keine genügende Basis zu haben. Die bundesdeutsche Ausweitung könnte also den Modellversuch retten.

Die möglichen finanziellen Belastungen sind naturgemäß bei den Kombilohnmodellen, die flächendeckend alle im Niedriglohnbereich einbeziehen, am höchsten. Beim Vorschlag der Grünen soll hier unbefristet an den Sozialabgaben angesetzt werden. Für diesen Ansatz spricht, dass er für alle Arbeitnehmer und Firmen dauerhaft Anreize setzt, sich im Niedriglohnsektor zu engagieren. Dies kann allerdings neue Subventionsmentalitäten schaffen und so langfristig eine "Niedriglohnfalle" für Deutschland entstehen lassen.

Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass für lange Zeit eine größere Zahl von Menschen faktisch nicht vermittlungsfähig ist. Dazu gehören Ältere über fünfzig Jahre, Dauerarbeitslose, und arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger. Hier werden temporäre Subventionen nicht weiterhelfen. Priorität sollte deshalb eine rasche Lohnsubvention bei potentiell vermittlungsfähigen Problemgruppen haben. Beispielsweise sind derzeit etwa 1 Million Menschen ohne Berufsabschluß ohne Job, aber noch nicht dauerarbeitslos. Etwa ein halbe Million Menschen mit Berufsabschluß sind länger als ein halbes Jahr arbeitslos und drohen dauerarbeitslos zu werden. Dieses Potential muß rasch in den Arbeitsmarkt integriert werden. Dabei wären direkte Lohnsubventionen an die Unternehmen ein geeignetes Instrument. Arbeitnehmern sollte dabei ermöglicht werden, über ihre Arbeitslosenunterstützung hinaus unbeschadet für einen längeren Zeitraum hinzuzuverdienen.

Die Finanzierung neuer Modelle kann weitgehend ausgabenneutral erfolgen. Dabei helfen die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, der Abbau von Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen, die Einsparungen durch Leistungskürzungen bei der Verweigerung einer Beschäftigungsaufnahme sowie die erheblichen Entlastungen, die durch zusätzliche Steuereinnahmen und Beiträge zu den Sozialkassen entstehen, wenn mehr gearbeitet wird. Nötig ist nur der Mut, Strukturreformen bald konsequent anzupacken.


Reprinted with permission.

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