Was jede neue Regierung jetzt tun muss

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May 28/29, 2005, Berliner Zeitung

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 

Die deutsche Reformpolitik steckt in einem spieltheoretischen Dilemma. Wer sich bewegt, der hat schon verloren, da die andere Seite nicht mitzieht. Da sich folglich alle Seiten nicht bewegen, verlieren Regierung und Opposition überall an Vertrauen. Das schließt gelegentliche Eruptionen im Wählerwillen nicht aus - wie kürzlich bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen. Aber die Erfolge werden auf des Messers Schneide erzielt. Das Zutrauen zum Wahlgewinner entspringt nicht tieferem Wissen über seine wahrscheinlichen Handlungen nach der Wahl. Das beherzte Zupacken der politischen Elite aller Parteien bleibt so aus taktischem Kalkül aus. Vielmehr ist das Verschleiern über die wahren Absichten auf der Tagesordnung, obwohl keine neue Regierung in Wahrheit über große alternative Handlungsspielräume verfügt.

Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der effizienten Nutzung volkswirtschaftlicher Ressourcen müssen strikter getrennt werden. Die Wertschöpfung muss Priorität über die Frage bekommen, wie das Produzierte gerecht verteilt wird. Chancengerechtigkeit kommt dann vor Verteilungsgerechtigkeit. Gesellschaftliche Solidarität und Eigenverantwortung brauchen eine neue, erträgliche Balance. Die sozialen Sicherungssysteme müssen in den größtmöglichen Wettbewerb entlassen werden. Wer Solidarität erhält, muss seinerseits eine Gegenleistung erbringen. Zuständigkeiten und Verantwortungen müssen klar zugewiesen werden.

Blaupausen für Reformen

Die Blaupausen für die unvermeidbaren Reformschritte liegen auf dem Tisch:

1) Bürokratieabbau und eine Föderalismusreform stehen an. Die Einspruchsmöglichkeiten des Bundesrates müssen deutlich reduziert werden. Der Länderfinanzausgleich setzt keine Leistungsanreize und sollte einem neuen System weichen, das Ländern und Gemeinden eigenständige Finanzierungsquellen einräumt. Wahltermine sollten gebündelt, Länderfusionen gefördert und die Legislaturperioden der Parlamente auf sechs Jahre verlängert werden, um der Politik eine längerfristige Perspektive zu ermöglichen.

2) Das deutsche Steuersystem ist zu kompliziert und die nominalen Unternehmenssteuern sind zu hoch. Auch sind die Handlungsspielräume des Staates vor dem Hintergrund der hohen Budgetdefizite nicht groß. Durch einen radikalen Subventionsabbau (unter anderem durch Wegfall von Eigenheimzulage, Pendlerpauschale und der steuerlichen Begünstigungen von Nacht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit) und eine Mehrwertsteuererhöhung können Luft für Steuervereinfachungen, die Sanierung des Haushaltes und die Finanzierung neuer Leistungsschwerpunkte geschafft werden. Sinnvoll ist dabei eine Rückführung der direkten Steuern und ein Mehrwertsteuerprivileg für Güter und Dienstleistungen, die mit einem hohen Anteil an gering qualifizierter Arbeit produziert werden.

3) Eine kräftige Mehrwertsteuererhöhung zur Teilfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme könnte zu einer deutlichen Senkung der Lohnnebenkosten führen. Dies ist nötig, damit gerade einfache Arbeit wieder gefragt wird. Ohne eine starke Ausweitung der Lebensarbeitszeiten wird die Rentenversicherung angesichts der raschen Ausweitung der Lebenserwartung allerdings nicht stabilisiert werden können. Das Gesundheitsprämienmodell schließlich ist unverzichtbar im Reformprozess, denn es ermöglicht die Abkoppelung der Finanzierung des Gesundheitssystems vom Faktor Arbeit.

4) Bei der Reform der Arbeitsmarktpolitik sind jetzt die Umsetzer gefragt. Die Maßnahmen brauchen Zeit und müssen sorgfältig evaluiert werden. Hektische Reformen der Reformen sind abzulehnen. Es kann aber schon bald der Ruf nach einem Befreiungsschlag einsetzen, nach der Zerlegung der Betreuung der Arbeitslosen in drei Gruppen: Eine Versicherungsagentur kümmert sich um die Arbeitslosen im ersten Jahr, die wahrscheinlich aus eigener Kraft zurückfinden, ohne sich an ihrer Vermittlung in Beschäftigung zu beteiligen. Die Bundesagentur kümmert sich nach einem Profiling der neuen Arbeitslosen um potentielle Problemfälle, überwiegend Menschen ohne Berufsausbildung und ältere Arbeitnehmer. Die Kommunen übernehmen schließlich die Betreuung der Langzeitarbeitslosen, deren Chancen zur Rückkehr in den regulären Arbeitsmarkt eher gering sind. Sie erhalten Transfers, müssen aber dafür arbeiten.

5) Ferner sind Innovationen zur Erneuerung der Wirtschaft nötigt. Dazu trägt eine allgemeine Erhöhung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich bei. So kann der Fachkräftemangel bekämpft und einfache Arbeit preiswerter werden. Zukunftsträchtige Wirtschaftssektoren wie der Bildungs- und Weiterbildungssektor, der Bereich Innovationen und Forschung, die Gesundheitsbranche, die Kinder- und Altenbetreuung und haushaltsnahe Dienstleistungen müssen durch Wettbewerb und die Etablierung von Marktprozessen gestärkt werden.


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