Verpasst Deutschland die digitale Zukunft?

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February 03, 2018, Focus

(Includes statement from Werner Eichhorst and Hilmar Schneider)
 

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Dabei geht es bei der Digitalisierung nicht nur um Breitbandausbau, schnelles Mobilfunknetz und bessere Finanzierungsmöglichkeiten für Firmengründer. Die Internet- Economy revolutioniert auch die Arbeitswelt und braucht daher ein anderes Sozialsystem. Schon heute ist absehbar, dass Arbeitnehmer- Errungenschaften wie unbefristete Arbeitsverhältnisse, Kündigungsschutz, Urlaubsgeld und stabile Löhne bei vielen der Vergangenheit angehören werden. Stattdessen müssten wir uns auf "individuell zugeschnittene Werks- oder Zeitarbeitsverträge, Solo-Selbstständigkeit und multiple Jobs" einrichten, glaubt der Wirtschaftswissenschaftler Werner Eichhorst. Im Klartext: Gearbeitet wird an konkreten Projekten, in einem vorgegeben Zeitrahmen, mit wechselnden Arbeitgebern und verschiedenen Beschäftigten. Die jahrzehntelange Anstellung bei einer Firma - in Deutschland ein bisher gern gelebter Arbeitnehmertraum - wird zum Auslaufmodell.

Stattdessen werden Beschäftigte künftig immer häufiger als Selbstständige ihre Arbeit anbieten: entweder bei Firmen, die sie für Projekte für einen bestimmten Zeitraum anheuern - oder direkt bei Kunden. Die größte Plattform für solche Werkverträge ist Upwork aus San Francisco. 250 Mitarbeiter vermitteln weltweit Millionen Freiberufler, 18000 davon aus Deutschland. Auf den virtuellen Jobbörsen konkurrieren Freelancer aus Hochlohnländern wie Deutschland mit Billiganbietern aus Asien. Mindestlohnvorschriften gibt es nicht. Den Preis bestimmen Angebot und Nachfrage.

Das Sozialsystem 2.0 wird einer Bürgerversicherung gleichen

Eine völlig neue Herausforderung für das Sozialsystem. "Die bisherige Praxis - Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen zur Hälfte die Sozialbeiträge - wird immer seltener funktionieren", erkennt Hilmar Schneider, Chef des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), in Bonn. Seine Forderung: "Unser Sozialsystem muss auf eine neue Grundlage gestellt werden." Schneider schlägt vor, ein "Sozialsystem 2.0" nach dem Muster einer Bürgerversicherung aufzubauen. "Alle Selbstständigen und Beschäftigten werden die Pflicht haben, sich gegen Arbeitslosigkeit, Krankheit, für Pflege und Rente zu versichern." Seine Idee: Kunden, die beispielsweise über MyHammer einen Handwerker bestellen und bezahlen, müssen künftig neben dem Preis und der Mehrwertsteuer automatisch auch Sozialbeiträge für den Handwerker entrichten, die automatisch an die Sozialkassen abgeführt werden. Das sei technisch problemlos möglich, sagt Schneider.


Reprinted with permission.

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