Mehr Zuwanderung für soziale Sicherungssysteme nötig

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April 28, 2015, Leipziger Volkszeitung

(Interview with Klaus F. Zimmermann)

Klaus F. Zimmermann über neue Jobs, Punktesystem und Fremdenfeindlichkeit
 

Bonn. Um die sozialen Sicherungssysteme zu gewährleisten, "brauchen wir zwischen 400 000 und 600 000 Zuwanderer pro Jahr". Das sagte Klaus F. Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit in Bonn.

Deutschlands Bevölkerung schrumpft. Brauchen wir Zuwanderung allein, um einen Kollaps der Sozialkassen zu verhindern?

Auf lange Sicht kann man als Bevölkerung sehr viel kleiner werden. Nur: Die Übergänge sind sehr schmerzhaft. Unsere sozialen Sicherungssysteme können so, wie sie jetzt aufgestellt sind, nicht gehalten werden ohne mehr Zuwanderung. Wir brauchen sicherlich weit mehr Zuwanderer als wir derzeit haben. Wir gehen von 400 000 bis 600 000 Zuwanderern pro Jahr aus.

Der Vorwurf lautet, Zuwanderer nehmen den Deutschen die Arbeit weg.

Die meisten Zuwanderer machen etwas anderes als wir selber tun können. Sie bringen neue Fähigkeiten ein. Die Erfahrungen belegen: Gerade Zuwanderer schaffen sozusagen Arbeitsplätze, indem sie sicherstellen, dass mehr Menschen in der Produktion gebraucht werden.

Wie das?

Wer als Zuwanderer einen Betrieb gründet, braucht Mitarbeiter. In Zukunft fehlen uns auch immer mehr Fachkräfte. Wenn diese nicht da sind, dann bleiben auch viele Geringqualifizierte arbeitslos.

Jetzt malen Sie das Schreckgespenst Fachkräftemangel an die Wand. Dabei besagt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, dass es erst 2030 einen flächendeckenden Fachkräftemangel geben wird, und zwar in technischen Berufen.

Es wird wahrscheinlich immer so sein, dass es Branchen gibt, die gerade keine Zuwanderung brauchen. Aber insge- samt benötigen wir in sehr vielen - und immer mehr Branchen - Fachkräfte, also Zuwanderung. Unsere Wirtschaft bekommt doch schon heute gar nicht überall die Fachkräfte, die sie benötigt. Da morgen ein Großteil der Länder Fachkräfte suchen wird, müssen wir uns rechtzeitig auf die Knappheiten vorbereiten, die vielleicht erst in einigen Jahren in großer Dramatik eintreten werden.

Wie soll das geregelt werden?

Momentan gibt es Forderungen nach einem Zuwanderungsgesetz, während Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eher für ein Zuwanderungsmarketing plädiert. Gegen Marketing ist nichts einzuwenden. Da haben wir eine Menge nachzuholen, weil wir bisher so getan haben, als hätten wir keine Zuwanderung nötig und wollten auch keine. Deswegen kommen viele Menschen nicht hierher, obwohl wir für qualifizierte Zuwanderer inzwischen die Zugänge dafür haben. Aber zum Marketing gehört auch ein Gesetz, das von den Menschen als grundsätzliche Einladung verstanden wird und in dem sie erfahren, unter welchen Bedingungen sie ins Land kommen können. Wir haben sehr viele und für den Außenstehenden verwirrende Einzelregelungen.

Wie sollte die Zuwanderung bei uns organisiert werden?

Die Menschen wollen nicht nur kurzfristig zum Arbeiten kommen, sondern sie wollen wissen, unter welchen Bedingungen sie dauerhaft bleiben können. Das geht hin bis zur Frage der Staatsbürgerschaft. Zuwanderungsländer wie Kanada oder Australien regeln das über ein Punktesystem. Anhand dessen kann man sich genau ausrechnen, welche Voraussetzungen zu erfüllen sind, um dauerhaft im Land zu bleiben.

Also wäre ein Punktesystem angebracht?

Eindeutig. Wir brauchen es, um zu sagen, dass wir offen sind für Zuwanderung, wenn in einigen Jahren der Wettbewerb um Fachkräfte weltweit stärker wird. Zugleich werden über das Punktesystem die Bedingungen geregelt, auch um Bewerber abzuweisen, die wir nicht brauchen.

Ist auch eine Erleichterung der Anerkennung ausländischer Abschlüsse nötig?

Ganz klar. Wir legen zu stark Wert auf Formalien. Ich bin davon überzeugt, dass Berufserfahrung immer wichtiger wird als allgemeine Abschlüsse.

Was ist für eine vernünftige Integration noch erforderlich?

Wir brauchen eine Politik, die von vornherein auf das Bleiben abzielt. Daher ist die gesellschaftliche Integration wichtig. Das fängt bei den Sprachkenntnissen an und setzt sich im sozialen Engagement in Vereinen und in den Parteien fort. Da kann ein System, das für Integrationsleistungen Punkte vergibt, Anreize schaffen. Von der Idee her kann das beispielsweise bedeuten: Wer bereit ist, sich in weniger konzentrierten Regionen anzusiedeln und zu engagieren, erhält dafür Punkte, steigert seine Zuwanderungschancen.

Also wäre ein transparentes Punktesystem ein Mittel gegen Fremdenfeindlichkeit?

Fremdenfeindlichkeit entsteht zumeist durch Unwissen und Unkenntnis über die Leistung der Menschen für die Gesellschaft. Deshalb ist Fremdenfeindlichkeit oftmals dort hoch, wo es nicht so viele Fremde gibt. Ein Punktesystem lässt für jedermann transparent erkennen, wer kommen darf und was wir von diesen Menschen einfordern. Ich denke, das hilft, Widerstände abzubauen.

Interview: Ulrich Milde

Klaus F. Zimmermann (62) ist seit 1998 Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. 1300 Ökonomen aus 45 Ländern sind Teil des weltweiten IZAForschernetzwerks. Bekannt wurde der Volkswirtschaftsprofessor als Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Der gebürtige Baden-Württemberger stand elf Jahre bis Anfang 2011 an der Spitze des Berliner Instituts.


Reprinted with permission.

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