Hollandes Zielverwirrung: England, nicht Deutschland

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May 18, 2012, Neue Zürcher Zeitung

(Op-ed by Klaus F. Zimmermann)
 

Der Wachstumsrhetorik müssen Taten folgen. Frankreich muss dabei zuallererst vor der eigenen Tür kehren, bevor es andere zum Handeln aufrufen kann. Das Land muss seine Wirtschaftspraktiken der vergangenen Jahre überarbeiten. Dabei könnte Grossbritannien wichtige Orientierungshilfe leisten. Von Klaus F. Zimmermann

Der neue französische Präsident ist mit dem Anspruch angetreten, Europa so richtig durchzuwirbeln. Tatsächlich ist die Euro-Zone in grossen Schwierigkeiten. Aber man sollte bei allem publikumswirksam verkündeten Reformeifer an die ursprüngliche Maxime der G-7-Treffen erinnern. Deren tiefere Ratio war, internationale Wirtschaftskoordination immer nur dann zu betreiben, wenn denn zunächst einmal vor der eigenen Tür gekehrt wurde. Der gegenteilige Ansatz, die Ursachen für das eigene Malaise immer nur anderswo zu verorten, ist zwar verlockend. Allerdings befördert diese Neigung nur wenig echten Reformeifer. Meistens ist das Gegenteil der Fall: Die Entschlossenheit, sich Anpassungsmassnahmen zu stellen, wird blockiert. Denn es liegt ja nicht an der eigenen Nation, sondern an den anderen, dass die Sache mit der Wirtschaft nicht so recht läuft.

Bedenkliche Investitionsschwäche Präsident

Hollande präsentiert eine intelligente Variante dieser alten Taktik. Zwar sind es nicht die Deutschen, die an der Wirtschaftsmisere Frankreichs die Schuld tragen. Aber sie könnten deutlich mehr tun, um Nationen wie Frankreich zu mehr Wirtschaftswachstum zu verhelfen. In der wirtschaftspolitischen Debatte ist es immer gut, grenzüberschreitende Vergleiche anzustellen. Dies fördert den Wettbewerb und damit die nationale Entschlusskraft. Allerdings hat es den Anschein, als ob Hollande sich im Wahlkampf mit seinen Bekundungen zur Neuverhandlung des Fiskalpaktes verrannt hat. Was für Frankreichs Wirtschaft nottut, sind nicht einfach zusätzliche Investitionen. Benötigt wird eine Überarbeitung der französischen Wirtschaftspraktiken der vergangenen Jahre. Seit geraumer Zeit haben französische Unternehmen ihren Mitarbeitern Einkommenssteigerungen gewährt, die im Markt nicht verdient wurden.

Damit sank aber nicht nur die Profitabilität französischer Unternehmen, sondern auch deren Fähigkeit, Zukunftsinvestitionen zu tätigen. Dabei bleibt der Grad der erfolgreichen Spezialisierung französischer Firmen insbesondere im Mittelstandsbereich schon jetzt hinter dem von deutschen und Schweizer Unternehmen zurück. Um dies zu korrigieren, braucht es mehr, nicht weniger Investitionen. Diese werden aber aller Voraussicht nach nicht aus dem Subventionsdschungel Brüssels kommen, sondern eher aus den eigenen Erträgen.

Angesichts solch hausgemachter Probleme hilft es so gut wie gar nicht, wenn Hollande sich jetzt zum Propheten der europäischen Wachstumsbewegung macht. Denn es ist ja keineswegs so, dass fiskalische Konsolidierung und eine Wachstumsstrategie in Deutschland als etwas Gegensätzliches angesehen werden. Schon seit den Zeiten Gerhard Schröders, immerhin eines Sozialdemokraten Hollandescher Provenienz, gilt, dass dies sehr wohl zwei Seiten derselben Medaille sind, die sich geradezu bedingen. Wachstum herbeireden zu wollen, mag Hollande zwar neue Verbündete von den USA bis hin nach Griechenland einbringen. Aber es wird seiner Nation wenig helfen, erfolgreich auf den rechten Pfad des Wirtschaftens zurückzukehren. Wer meint, in der heutigen globalisierten Welt könne man die Lohnstückkosten munter ansteigen lassen, um damit die Binnennachfrage zu bedienen, der lebt irgendwie weltfremd.

Industriefreundliche Politik verfolgen

Dies gilt nicht nur für exportstarke Nationen wie Deutschland und die Schweiz. Diese erhalten vom Markt her ständig Signale für das aktuelle Preisgefüge. Es gilt auch für eher binnenwirtschaftlich ausgerichtete Volkswirtschaften, denn auch hier muss erst einmal verdient werden, was verteilt werden soll. Derzeit hat es den Anschein, dass sich Hollande hier ebenso verrennen könnte, wie dies vor ihm Mitterrand getan hatte. Der bisher letzte Sozialist im Präsidentenamt musste nach rosigen Wahlversprechungen unter den Augen der Finanzmärkte eine relativ rabiate Kursumkehr vollziehen.

Angesichts der ohnehin schon genügend virulenten Krise in der Euro-Zone kann sich niemand die Wiederholung eines temporären Ausklinkens Frankreichs, der zweitwichtigsten Wirtschaftsmacht in der EU, wünschen. Damit er dies vermeiden kann, würde dem neuen französischen Präsidenten der Blick nach Norden, über den Ärmelkanal, statt nach Osten, über den Rhein hinweg, sehr viel mehr helfen. Statt einer Orientierung an Deutschland leuchtet eine Adaptierung des britischen Vorbilds sehr viel mehr ein. Denn Frankreich und Grossbritannien – Kontrahenten seit einer Zeit, als es Deutschland noch lange nicht gab – liefern sich seit längerem einen Wettbewerb darüber, wer die Volkswirtschaft Nr. 2 in Europa ist. Bald liegt die eine Nation beim Bruttoinlandprodukt vorne, bald die andere.

Beide Länder haben unter einer gewissen Desindustrialisierung zu leiden. Bisher hat man angenommen, dass diese die Briten viel mehr trifft als die Grande Nation. London hatte zu stark auf den Finanzsektor gesetzt und zu flott Unternehmen der verarbeitenden Industrie verkauft. Das ist vorbei. Die Cameron-Regierung fährt einen sehr viel industriefreundlicheren Kurs und stemmt sich aus den gleichen Gründen wie die Schweiz gegen die Dominanz des Finanzsektors. Die Briten können – anders als die Franzosen – dabei auf das Instrument einer weicheren Währung zurückgreifen.

Diesmal gehen die Reformmassnahmen aber weiter. Sie greifen auch im mikroökonomischen Bereich, in den Fabriken und bei der Arbeitsorganisation. Die aufkommende Dynamik rührt nicht nur aus einer Steigerung der ausländischen Investitionen, sondern beruht auch auf einer gewissen Renaissance des «Manufacturing» in Grossbritannien. Dieses Beispiel sollte die Franzosen anregen. Denn die Schlacht um das für Europa so nötige Wachstum wird nicht in Nachtsitzungen am Konferenztisch in Brüssel, Paris oder Berlin gewonnen, sondern in der realen Wirtschaft. Die Briten weisen Monsieur Hollande den Weg.


Reprinted with permission.

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