Gefährdet die zeitliche Streckung des Budgetausgleichs die Glaubwürdigkeit des Stabilitätspaktes? Contra: Fristverschiebung stärkt den Pakt

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October 02, 2002, Handelsblatt

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)
 

Das Ziel des europäischen Stabilitätspaktes, die staatliche Neuverschuldung in den Ländern der Währungsunion in normalen wirtschaftlichen Zeiten konsequent auf Null zu fahren, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Der Rückzug des Staates vom Kapitalmarkt soll mehr Spielräume für private Aktivitäten zu niedrigeren Zinsen ermöglichen und so langfristig zu höherem Wirtschaftswachstum und Preisstabilität führen. Gleichzeitig erzeugt eine solche Politik für internationale Anleger Glaubwürdigkeit und sichert so langfristige Kapitalzuflüsse.

Es muß allerdings klar sein, dass die Umsetzung dieses Projektes nicht im luftleeren Raum erfolgen kann. Die Regel, nach der Haushaltsdefizite 3% des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten dürfen, ist eine politisch gesetzte Faustformel. Sie ignoriert strukturelle Entwicklungen in den Ausgaben, etwa die Bedeutung von Investitionen und Bildung, Anstrengungen zur Reduktion der Staatsaktivität durch Steuersenkungen und Konjunkturkrisen.

Wachstumsschwächen entstehen gerade in Deutschland auch durch den Rückgang der staatlichen Investitionstätigkeit, der ungenügenden Förderung der Humankapitalbildung, das fiskalisch bedingte Aufschieben der Steuerreform und die Unfähigkeit, in konjunkturellen Krisenzeiten die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen. So war es auf europäischer Ebene immer unstrittig, Budgetdefizite dann anwachsen zu lassen, wenn die konjunkturelle Lage Steuermindereinnahmen und steigende Ausgaben für Arbeitslosigkeit implizierte. Jetzt sind manche Länder gezwungen, in die Krise hineinzusparen, was zwangsläufig die makroökonomische Lage weiter verschlechtert.

Die konjunkturellen Aussichten sind trübe. Die US-Konjunktur kommt nicht ausreichend in Fahrt, die europäische Wirtschaft entwickelt keine zureichenden eigenen Impulse. So besteht die Gefahr einer sich verstärkenden makroökonomischen Destabilisierung. In diesem Kontext ist den Märkten seit längerem klar, dass einige Länder der Euro-Zone ohne gefährliche makroökonomische Reaktionen den ehrgeizigen Anpassungsprozeß zeitlich nicht einhalten können.

Somit ist es gerade umgekehrt: Die zeitliche Streckung des Budgetausgleichs von 2004 auf 2006 sichert die Glaubwürdigkeit des Stabilitätspaktes. Eine strikte Einhaltung hätte zu einer Vertrauenskrise der europäischen Wirtschaftspolitik geführt. Die Europäische Kommission hat daher zum geeigneten Zeitpunkt das Richtige getan.

Allerdings kann diese Politik nur erfolgreich sein, wenn die fiskalpolitische Diskussion verschärft fortgesetzt wird. Es darf keine Atempause bei der Senkung strukturell bedingter Ausgaben geben. Für Deutschland heißt das etwa konsequenter Subventionsabbau. Nun bleibt die 3%-Regel in Kraft. Wer sie überschreitet, muss den "blauen Brief" mit dem Rechtfertigungszwang auch erhalten. Es war schon im vergangenen Jahr falsch, auf eine formale Warnung etwa Deutschlands zu verzichten.

Es ist ferner nötig, die politische Unabhängigkeit der Bewertung der Finanzpolitik der Länder zu stärken. Es ist prinzipiell problematisch, dem Ministerrat das letzte Wort zu geben. Hier könnte ein neues europäisches Expertengremium, unabhängig und einmalig auf Zeit ernannt, eine wichtige Rolle spielen. Schließlich wäre die fiskalpolitische Stabilisierungsaufgabe leichter, wenn die Europäische Zentralbank ihre konjunkturpolitische Zurückhaltung in dieser wichtigen Phase aufgeben und die Erholung durch Zinssenkungen unterstützen würde.


Reprinted with permission.

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