Zuwanderung: Die Wirtschaft ist am Zug

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July 27, 2010, Süddeutsche Zeitung

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)

Der neue Bundespräsident hat die Integrationspolitik zu einem Leitthema gemacht. Jetzt kommt es auch auf die Unternehmen an
 

Vor dem Hintergrund des spürbaren Fachkräftemangels fehlt es nicht an Ermahnungen der Wirtschaft, die Zuwanderung flexibler zu gestalten. Doch dieselben Wirtschaftsverbände und Unternehmen, die ganz zu Recht eine Erleichterung der Arbeitsmigration fordern, tun sich auffallend schwer damit, die eigene Rolle bei der Integration von Zuwanderern in Arbeitsmarkt und Gesellschaft zu definieren.

Dabei hängt es auch vom Engagement der Unternehmen vor Ort ab, ob die Eingliederung der von ihnen gesuchten Fachkräfte und ihrer Familien letztlich gelingt. Dass der neue Bundespräsident Christian Wulff offenbar gewillt ist, die Integration von Zuwanderern zu einem Leitthema seiner Amtszeit zu machen, bietet Gelegenheit, die Aufgabenverteilung zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu hinterfragen. Soll die Zuwanderung künftig stärker an Arbeitsmarktbelangen orientiert werden, kommt den Unternehmen unweigerlich eine noch größere Bedeutung bei der Integrationsleistung zu.

Klar ist: Der Engpass an qualifizierten Arbeitskräften droht nicht erst in der Zukunft, er ist bereits seit einiger Zeit deutlich spürbar. Dabei geht es keineswegs nur um Ingenieure oder Ärzte, sondern auch um den Mangel an Facharbeitern in Industrie und Handwerk und um die Personalknappheit in wichtigen Dienstleistungsbereichen wie etwa den Pflegeberufen. Dort wird es den bequemen Weg, die Lücken durch Zivildienstleistende zu stopfen, künftig kaum noch geben, während der Bedarf in einer alternden Gesellschaft stetig wächst. Und dass in Seniorenhaushalten Zehntausende Ausländer illegal als Pflegehilfen eingesetzt werden, ist ein unhaltbarer Zustand.

Höchste Zeit also für eine Politik, die mit gezielten Öffnungs- und Auswahlstrategien den ernsthaften Versuch unternimmt, qualifizierte Zuwanderer für Deutschland zu gewinnen. Die geschickte Selektion von Studenten und Doktoranden ist dabei eine Sache. Hier bildet und integriert sich das Arbeitsangebot der Zukunft gewissermaßen von selbst. Die andere sichere Strategie ist die Zuwanderung oder das Bleiben von Hochschulabsolventen, sobald und solange sie vom Arbeitsmarkt gebraucht werden. Entscheidend sind transparente und nachhaltig kommunizierte Regeln.

Dabei darf man sich über die kurzfristigen Erfolgschancen ohnehin keine Illusionen machen: Nach Jahrzehnten einer restriktiven Migrationspolitik wäre es naiv zu glauben, die "besten Köpfe" würden sich in großer Zahl für Deutschland entscheiden. Im Gegenteil: Deutschland muss in dem weltweit schärfer werdenden Wettbewerb um knappes Humankapital erst noch verlorenen Boden gut machen. Tatsächlich verliert Deutschland derzeit jedes Jahr wertvolles Humankapital, wir sind inzwischen zum Auswanderungsland geworden. Ein Grund mehr, die nötigen politischen Kurskorrekturen nicht auf die lange Bank zu schieben. Neben den Auswahlmechanismen stehen dabei die Integrationsangebote ganz obenan.

Die Bundesregierung plädiert richtigerweise für "Integrationsverträge" zwischen Zuwanderern und Gesellschaft. Diese Verträge sollen und dürfen Integrationsbereitschaft einfordern. Dem müssen aber klare Angebote gegenüberstehen. Aus dieser Perspektive sind insbesondere auch die Unternehmen als notwendige Vertragspartner anzusehen. An Aufgaben für die Arbeitgeber fehlt es wahrlich nicht. Von mehr Betriebskindergärten mit qualifizierter Betreuung profitieren auch Zuwandererkinder. Betriebliche Angebote zum Spracherwerb auch für Familienangehörige kommen zurzeit noch viel zu kurz. Bei Bewerbungen werden auch qualifizierte ausländische Bewerber oft schon allein aufgrund ihres Namens diskriminiert.

Solche Diskriminierungen sollten vermieden werden, da sie allen Beteiligten, nicht zuletzt den Unternehmen selbst, Schaden zufügen können. Führungskräfte mit Migrationshintergrund sind in deutschen Unternehmen selten genug. Die Anerkennung von Berufsabschlüssen scheitert noch zu oft an bürokratischen Hürden, an deren Errichtung die Wirtschaft nicht unbeteiligt ist. Und jüngste Studien der OECD dokumentieren, dass Kinder von Migranten bei gleicher Qualifikation deutlich schlechtere Arbeitsmarktchancen haben als ihre deutschstämmigen Altersgenossen.

Ebenso sind die Hürden für selbständige Tätigkeiten noch zu hoch. Die Folge von alledem ist, dass zu viele Zuwanderer deutlich „unter Wert“ auf dem Arbeitsmarkt agieren oder arbeitslos sind. Wenn 14 von 100 Zuwanderern im Alter von 20 bis 30 Jahren bei uns weder Job noch Lehrstelle haben, kann dies nicht der Staat alleine regeln. Das geht nicht ohne den Beitrag der Wirtschaft. Aktuell zeigen gerade die Erfolge der ethnisch diversen Fußball-Nationalmannschaft, wie sich klassische deutsche Tugenden mit neuen Qualitäten zu einem erfolgreichen Team verbinden können. Auch der deutschen Unternehmenskultur könnte ein solcher Aufbruch guttun. Denn in einer globalisierten Welt hat eine multi-ethnisch aufgestellte Gesellschaft natürliche Vorteile: Stärken ergänzen sich. Neues kann kreativ entstehen. Dies gilt auch für die deutsche Wirtschaft, die auf ihre Internationalisierung stets so stolz ist. In der Realität sind wir immer noch zu sehr eine "geschlossene Gesellschaft".

Dabei belegen Untersuchungen eindrucksvoll, dass die möglichen Einkommensgewinne durch eine Öffnung der Arbeitsmärkte sehr viel höher sind als durch eine weitere Liberalisierung von Handel und Kapitalverkehr. Diese Botschaft ist zwar bei den Spitzen der Wirtschaft rational angekommen, aber in der Breite unserer überwiegend mittelständisch strukturierten Unternehmenslandschaft – trotz erfreulicher Ausnahmen – faktisch wie emotional noch viel zu wenig verankert.

Nicht nur aus Gründen der Demographie und des kurzfristigen ökonomischen Vorteils müssen die Unternehmen bei der Integration entschlossener als bisher agieren. Sie werden im Wettbewerb um Fachkräfte letztlich nur dann erfolgreich sein, wenn das "Gesamtpaket" aus den gesellschaftlichen und ihren eigenen betrieblichen Integrationsangeboten attraktiv ist. Der neue Bundespräsident hat in seiner Rede zum Amtsantritt in begrüßenswerter Deutlichkeit auf die anstehenden Integrationsaufgaben hingewiesen. Diesen Aufgaben müssen sich auch die Unternehmen stärker denn je stellen.

Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann ist Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).


Reprinted with permission.

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