Noch kann NRW seine Modernisierung gestalten

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May 10, 2010, Handelsblatt online

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 

Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann ist Direktor des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und war Arbeitsgruppenleiter "Wirtschaft und Arbeit" der NRW-Zukunftskommission

Das Land könnte zum Vorreiter für die Bundesrepublik werden, etwa bei der Erwerbstätigkeit von Frauen und in der Bildungspolitik

Die neue Landesregierung muss NRW vor dem Hintergrund von Finanzkrise, globalisiertem Strukturwandel und demografischen Umwälzungen in eine neue wirtschaftliche und soziale Identität führen. Die kommenden fünf Jahre sind das letzte Zeitfenster, diese großen Herausforderungen anzupacken, bevor sie nur noch verwaltet statt gestaltet werden können. Gefragt ist jetzt ein konsequenter Modernisierungskurs.

Man darf gespannt sein, wie die neue Regierung die Herausforderungen annehmen will. Das bevölkerungsreichste Bundesland gibt einen nationalen Takt vor. Seine rund 18 Millionen Einwohner stellen 21,9 Prozent der Gesamtbevölkerung, 21,5 Prozent der Erwerbstätigen und erwirtschaften 22 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Wirtschaftskrise 2009 überstand es nur mit relativ höherer Schrumpfung und größerer Arbeitslosigkeit als der Durchschnitt des Bundes.

Die politischen Kernfragen beziehen sich auf die Bereiche Staatsfinanzen und Demografie, Bildung, Familie und Integration sowie Wettbewerb, Innovation und Energie, die allerdings in vielfältiger Weise miteinander verflochten sind. Die gesellschaftlichen Alterungsprozesse wird NRW in den kommenden Jahren stärker denn je zu spüren bekommen. Fachkräftemangel wird schon bald alltägliche Wirklichkeit sein. Die Feminisierung und Internationalisierung der Arbeit ist eine zentrale Aufgabe. Wenn NRW um die besten Köpfe werben und sie zur Ansiedlung im Land bewegen will, bedarf das einiger Überzeugungsarbeit und Anstrengungen. Eine klamme Haushaltslage erzwingt zudem eine konsequente Konsolidierung.

In der Bildungspolitik spricht nach dem Bankrott der Hauptschule vieles für ein integratives Schulmodell, das Entscheidungen über die spätere Schullaufbahn zeitlich nach hinten verlagert. Chancengleichheit steigt mit dem Alter der ersten Selektion im Schulsystem. Dies kann einen wichtigen Beitrag zur Integration der Menschen mit Migrationshintergrund darstellen, die in den Hauptschulen dominieren.

In der Hochschulpolitik erwiesen sich die Entscheidungen für mehr Autonomie, mehr Wettbewerb und die Einführung von Studiengebühren als richtig. NRW hat heute mehr Studenten als je zuvor. Jetzt geht es darum, Hochschulprofile zu schärfen, Kompetenzcluster in der Spitzenforschung zu stärken, für mehr privatwirtschaftliches Engagement zu sorgen und die Internationalisierung der Programme auszubauen. Die Hochschulen müssen gezielt für beruflich Qualifizierte und für ausländische Studierende geöffnet werden. NRW sollte sich zum Ziel machen, zu einer der weltoffensten Regionen für Studenten zu werden. Und die ausländischen Studienabsolventen sollten frühzeitig umworben werden, damit sie nicht in andere Bundesländer oder ins Ausland abwandern.

Frühkindliche Bildung, Frauenerwerbstätigkeit und Integration von Migranten sind Schlüsselfragen zur Gestaltung der Zukunft. Bildungs-, Familien-, Integrations- und Arbeitsmarktpolitik können hier äußerst sinnvoll ineinandergreifen: Investitionen in frühkindliche Bildung sind zugleich die beste Maßnahme, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erhöhen und eine bessere Integration von Menschen mit Migrationshintergrund zu ermöglichen. Ein Ziel könnte sein, zum Land mit der bundesweit höchsten Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern zu werden. Hochwertigere Kinderbetreuungsangebote verbessern die frühkindliche Bildung und schaffen die Grundlagen für den späteren Schulerfolg. Ein Gutscheinsystem könnte den Wettbewerb unter zertifizierten Anbietern stärken. In einem Pakt mit der Wirtschaft könnte NRW zum Bundesland mit der größten Dichte an Betriebskindergärten werden.

NRW befindet sich immer noch inmitten eines enormen Strukturwandels. Die Abkehr von der traditionellen Industrie und dem Bergbau hinterlässt soziale Verletzungen. Der Prozess der De-Industrialisierung sollte gestoppt werden, ohne nicht mehr lebensfähige Wirtschaftszweige zu subventionieren. So darf der Kohleausstieg nicht zur Disposition stehen. Ein Energiestandort kann NRW dennoch bleiben. Es kann zu einem führenden Energieinnovationsstandort aufsteigen, wenn es auf grüne Märkte setzt, wenn es die Energieforschung an seine Hochschulen zieht und wenn es die Förderung erneuerbarer Energien wie der Wasserstofftechnologie vorantreibt.

Der staatliche Handlungsspielraum wird angesichts der prekären Haushaltslage, die durch die demografischen Umwälzungen über das Renten- und Gesundheitssystem künftig noch dramatisch verstärkt werden wird, aber auch durch die nationalen und internationalen Verpflichtungen immer schmaler. NRW muss deshalb konsequent auf Wettbewerbsföderalismus setzen und sollte die treibende Kraft bei der Reform unserer bundesstaatlichen Ordnung werden.


Reprinted with permission.

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