Ein Scheitern wäre besser gewesen. Das völlig unzureichende Ergebnis des Vermittlungsverfahrens verlängert Deutschlands wirtschaftliche Handlungsblockade

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16. Dezember 2003, Handelsblatt

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 

Seit Wochen ringt nun in der Politik darum, die makroökonomischen Rahmenbedingungen durch ein Vorziehen der Steuerreform zu verbessern, um die Staatsfinanzen langfristig zu sanieren sowie wirksame Reformmaßnahmen in Wirtschaft und Arbeitsmarkt im Rahmen eines gemeinsamen Maßnahmenpaketes abzusichern. Der Showdown fand seinen Höhepunkt im Vermittlungsausschuss des Bundestags, der zu einem zentralen Kompromiss zwischen Regierung und Opposition führen musste - oder zum erstmaligen Scheitern des Reformprozesses.

Die Erwartungen waren hochgesteckt, doch die Endberatungen, an denen alle Parteiführer teilnahmen, glichen doch eher Tarifverhandlungen. Der Himmel öffnete sich und gebar eine Maus. Mit dem Ergebnis kann schlechterdings niemand zufrieden sein. Zwar kam es zu einer Einigung, aber sie dient der politischen Klasse nur zur Wahrung ihres Gesichts. Niemand wollte für das Scheitern Deutschlands in den zentralen Fragen seiner Wirtschaftspolitik jetzt noch verantwortlich sein. Tatsächlich bewirken viele der Beschlüsse letztlich Rückschritte. Und so werden sich später Wirtschaftshistoriker fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, die Verhandlungen jetzt vor Weihnachten tatsächlich scheitern zu lassen.

Was wäre das Gebot der Stunde gewesen? Die Konjunktur quält sich voran: Eine 2004 weitgehend durch Verschuldung finanzierte vorzeitige und vollständige Steuerreform hätte einen zusätzlichen psychologischen Impuls und ganz real mehr makroökonomische Nachfrage geschaffen. Die Steuerlast soll rasch sinken: Was 2005 strukturpolitisch gut ist, kann 2004 nicht falsch sein; die Bürger hätten sich der sinkenden Steuerlast sicher sein können.

Vertrauen in weitere Entlastungen wäre die Folge gewesen. Ein konsequenter Subventionsabbau zur Sanierung des Staatshaushaltes ist notwendig: Die vorgezogene Steuerreform hätte Anlass sein können, diesen Subventionsabbau jetzt gleich zu verabschieden. Weitere Strukturreformen am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft, beispielsweise bei der Handwerksordnung, sind nötig, wenn Arbeitsanreize gestärkt und Arbeitsplätze geschaffen werden sollen: Ein Gesamtpaket aus Konjunkturbelebung und makroökonomisch restriktiv wirkenden Strukturmaßnahmen hätte das erträglich gestalten können.

Wer sich nach dem Verstreichen des Pulverdampfes von Sonntagnacht die Augen reibt, wird feststellen: Vom konjunkturpolitischen Impuls einer vorgezogenen Steuerreform ist nichts übrig geblieben. Die Entlastung wurde glatt halbiert und soll 2004 nur noch zu höchstens 25% über Kredite finanziert werden. Damit verpufft der Konjunktureffekt, da er weitgehend durch Belastungen an anderer Stelle aufgesogen wird. Die Steuerlast wird zudem nicht, wie geplant, so stark und dauerhaft abgesenkt.

Die Subventionen in Form der Eigenheimzulage und der Entfernungspauschale für Pendler wurden nicht abgeschafft, sondern nur mit Samthandschuhen angefasst. Die Reform der Handwerksordnung wurde verwässert, ein prächtiges Beispiel für Interessenpolitik: Hier hätten neue Handwerksbetriebe und neue Arbeitsplätze entstehen können.

Zwar wurden die Bedingungen für die Arbeitsaufnahme von Langzeitarbeitslosen verschärft: Aber die Idee, den Kommunen die Entscheidung über ihre Betreuung zu lassen, ist ein Schildbürgerstreich. Klare Zuständigkeiten wäre das Gebot der Stunde gewesen.

Hinzu kommt, dass schnell das Tafelsilber (die Aktien von Post und Telekom) verkauft wird, ohne zuvor die Möglichkeiten beim Subventionsabbau zu nutzen. Schließlich tritt der Bund den Ländern voreilig Steuermittel ab, ohne die Länder stärker in den Reformprozess auch bei ihren Finanzen zu zwingen.

Die Opposition sagt von sich, sie sei der Sieger dieses Verhandlungsergebnisses. Das mag sein, konnte sie doch wegen ihrer Bundesratsmehrheit die Konditionen diktieren. Gesiegt hat aber die politische Taktik, nicht die wirtschaftliche Vernunft. Die Opposition hofft wider bessere Einsicht und eigene politische Programme darauf, dass der Regierung eine Bewältigung der Krise nicht gelingt, und dies spätestens bei der nächsten regulären Wahl zu einem Regierungswechsel führt: falls der betroffene Bürger, der jetzt Lasten trägt, ohne auf mittlere Sicht neue Perspektiven zu bekommen, diese Absicht nicht erkennt.

So eklatant wie Montagmorgen ist wohl kaum zuvor die Reformbedürftigkeit unseres föderalen Systems nachdrücklich unterstrichen worden.

So werden bald die Diskussionen neu aufkommen: Wie soll das Steuersystem gründlich reformiert werden? Wie entbürokratisieren und deregulieren wir die Wirtschaft und regen neue Unternehmertätigkeit an? Wie bringen wir den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme auf Trapp? Ein weiteres Kapitel in der endlosen Geschichte der Reformfähigkeit der Republik beginnt.

Denn den freien Schuss für Reformen in dieser Legislaturperiode des Bundestags haben wir abgegeben. Der Druck aus der Reformdebatte ist raus. Für weitere Beschlüsse gibt es kaum Zeit und erfahrungsgemäß auch keine Chance. Damit verfestigen sich unsere Handlungshemmnisse weiter.

Nehmen wir einmal kontrafaktisch an, die Verhandlungen wären gescheitert. Dann wäre der Aufschrei um die Handlungsunfähigkeit der Republik jetzt groß gewesen. Bereits im Januar hätte es neue Gespräche um die Steuerreform und die Strukturreformen gegeben. Eine zweite Chance für einen größeren Wurf wäre gegeben gewesen. Auch diese Chance wurde vertan. Und so taumelt Deutschland weiter unsicheren wirtschaftlichen Zeiten entgegen.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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