Internet revolutioniert Arbeitswelt

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14. November 2015, Frankfurter Neue Presse

(Ausführliche Stellungnahme von Klaus F. Zimmermann)

Wirtschaftsforscher Zimmermann: Es sind auch qualifizierte Jobs bedroht
 

Die fortschreitende Digitalisierung der Erwerbsarbeit stellt hohe Anforderungen an die Kreativität, die soziale Intelligenz und das unternehmerische Denken der Menschen. Und die Arbeitswelt könnte sich auch von den tradierten Berufen lösen.

Frankfurt. "Menschenleere Fabrikgebäude, in denen miteinander vernetzte Roboter und Maschinen autonom das Produktionsgeschehen sowie den technischen Service steuern; Mitarbeiter, die nicht mehr zu festen Arbeitszeiten in das gemeinsame Büro kommen, sondern über alle Welt verstreut miteinander in einer virtuellen Datenwolke kommunizieren; selbstfahrende Autos, die neue Mobilitätskonzepte ermöglichen; 3-D-Drucker, welche die Produktionswelt revolutionieren: Werden wir Zeugen einer digitalen Revolution, die unsere Arbeitswelt schon bald erheblich verändert?"

Professor Klaus F. Zimmermann, Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn, beschreibt dieses Szenario eines künftigen Arbeitslebens und gibt im Gespräch mit dieser Zeitung auch Antworten, was durch die sogenannte "Industrie 4.0" auf Arbeitnehmer und Unternehmen zukommt.

Für Zimmermann bedeutet die "Digitalisierung", dass die Informations- und Kommunikationstechnologien alle Lebensbereiche durchdringen werden - auch unsere Arbeitswelt. Das sei jedoch keine Zukunftsvision, sondern vielfach bereits Realität. Es stünden uns jedoch weitere einschneidende Veränderungen bevor. Denn neben der Digitalisierung würden auch parallele Entwicklungen wie der demografische Wandel und die Globalisierung weiter an Gestaltungskraft gewinnen. Diese Trends interagierten außerdem miteinander und verstärkten so den fortschreitenden Wandel von Produktionsfaktoren, Berufen und Erwerbsformen. "Während Rationalisierungsmaßnahmen bislang vor allem Beschäftigte mit geringer bis mittlerer Qualifikation betroffen haben, bedroht die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung zunehmend auch die Perspektiven von besser Qualifizierten", sagt Zimmermann.

Es deutete sich an, dass eine formale Qualifikation allein nicht mehr vor Rationalisierung schütze. Wenn der Anteil von Präzisions- und Routinetätigkeiten hoch sei, dann sei das Berufsbild tendenziell gefährdet - denn hier seien Maschinen den Menschen überlegen. Umgekehrt zeichneten sich zukunftssichere Berufe deshalb vor allem durch hohe Anforderungen in den Bereichen Kreativität, soziale Intelligenz und unternehmerisches Denken aus.

Stärkerer Fokus

Die Veränderungen in der Welt der Berufe, so der Arbeitsmarktexperte weiter, würden erheblich sein. "Wir können heute zwar nicht mit Sicherheit sagen, welche neuen Berufsbilder entstehen werden, aber es stellt sich womöglich sogar die Frage, inwieweit sich die Arbeitswelt gänzlich von dem tradierten Konzept der Berufe löst", stellt Zimmermann fest. Dieses könnte etwa durch einen stärkeren Fokus auf einzelne Aufgaben und Tätigkeiten abgelöst werden. Für die berufliche Ausbildung würde dies implizieren, dass künftig spezifische Berufsabschlüsse durch Abschlüsse abgelöst werden könnten, die allgemeinere "Bündel von Kompetenzen" beinhalten und auf diese Weise vermutlich besser für vielfältigere Tätigkeiten und das lebenslange Lernen vorbereiteten. Die Frage, in welchem Zeitfenster die Digitalisierung die Arbeitswelt vollständig ergreift, ist für Zimmermann schwierig zu prognostizieren.

Technischer Fortschritt

Dem Wirtschaftsprofessor an der Universität Bonn scheint jedoch ratsam, Vorsicht bei der Einschätzung der Geschwindigkeit von Änderungen unseres Lebensalltages walten zu lassen. So warnte der britische Ökonom John Maynard Keynes bereits in den 1930er Jahren vor „technologischer Arbeitslosigkeit", die sich infolge des beschleunigten technischen Fortschritts weit verbreiten werde.

Und auch vor rund 20 Jahren war die Vorhersage einer raschen Dominanz der digitalen Welt sehr populär und verbreitet. Sogar von einem "Ende der Arbeit" wurde damals gesprochen - ohne dass sich dies in der Folge bewahrheitet hätte. "Allerdings haben die gegenwärtigen und bevorstehenden technischen Entwicklungen eine gewaltige Gestaltungskraft und sie werden sich auch durchsetzen", sagt der Wirtschaftsprofessor. Zimmermann geht weiter davon aus, dass es durch die neue Entwicklung zu vermehrter Arbeitslosigkeit kommen wird. Das sei aber nichts Neues. "Die Menschheit sieht sich bereits seit Jahrtausenden mit den Herausforderungen konfrontiert, die der technische und technologische Wandel mit sich bringt.

Allerdings scheint sich dieser permanente Transformationsprozess aktuell mit vorher nicht bekannter Geschwindigkeit zu vollziehen", so der IZA-Direktor. Trotz zunehmender Geschwindigkeit sei das jedoch weiterhin ein Prozess der "kreativen Zerstörung". Dazu gehört, dass namhafte Unternehmen vom Markt verschwinden würden, ebenso einstmals mächtige Wirtschaftszweige und altbekannte Berufe.

Zeitgleich entstünden jedoch neue Tätigkeitsfelder, Firmen und ganze Branchen, die es in der Vergangenheit noch nicht oder nicht in dieser Bedeutung gegeben hat. "Ich bin jedenfalls sehr zuversichtlich, dass auch in der digitalen Zukunft genügend neue Märkte und neue Jobs entstehen, die etwaige Verluste durch den technischen Fortschritt auffangen beziehungsweise sogar überkompensieren werden", lautet Zimmermanns abschließende Prognose.

Lesen Sie am Montag, wie die Digitalisierung für virtuelle Belegschaften sorgt und vor welchen Herausforderungen Gewerkschaften und Unternehmen nach Zimmermanns Ansicht künftig stehen werden.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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