Politik muss visionär sein

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09. Januar 2014, Die Zeit

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)

Die große Koalition ignoriert die Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt
 

Die Großkoalitionäre haben ihre Fahrkarten gelöst, der Zug hat sich auf den Weg gemacht - scheinbar in Richtung Nirgendwo. Dabei stehen wichtige Aufgaben an: Das Ziel für den deutschen Arbeitsmarkt kann nur Vollbeschäftigung mit sicheren und gut bezahlten Jobs sein. Dieser Erwartung der Wähler werden sich die Parteien nicht entziehen können. Sich heute gut fühlen reicht nicht, es muss auch für eine gute Zukunft gesorgt werden.

Noch ist nichts verloren: Der Koalitionsvertrag ist zwar von vielen als ein mutwilliger Anschlag auf die Zukunft des Arbeitsmarktes verurteilt worden - kraftlos, ohne Visionen und gezielt auf das Wohlbefinden der politischen Akteure ausgerichtet. Solche Kritik übersieht aber die Funktion solcher Vereinbarungen. Koalitionsverträge definieren Einstiegs- und Rückfallbedingungen, bestimmen aber selten die Geschwindigkeit und die Richtung des Regierungsprozesses. Schon gar nicht in Zeiten rasch umschlagender politischer und wirtschaftlicher Wetterlagen.

Das heißt schlicht: Die Würfel für die Gestaltung des Arbeitsmarktes der Zukunft sind noch nicht gefallen. Das heißt auch, Bürgerinnen und Bürger müssen sich das derzeitige arbeitsmarktpolitische Durcheinander nicht bieten lassen.

Wenn die Politik nicht visionär ist, dann kommen die Herausforderungen mit umso größerer Vehemenz auf sie zu. Das Sommermärchen des Jahres 2013, die Zukunft sei nur ein Verteilungsproblem,und wir könnten als Deutsche alles unter uns ausmachen, hat sich als Illusion erwiesen. Die zu lange ignorierten Herausforderungen des Arbeitsmarktes sind: der demografische Wandel und der daraus resultierende Fachkräftemangel, die sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit und die fehlende Integration der europäischen Arbeitsmärkte.

Die Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung in Deutschland setzt rasch ein. Die Kluft zwischen dem, was Unternehmen brauchen, und dem, was Arbeitnehmer geben können, muss geschlossen werden. Die Mobilisierung von Fachkräftereserven durch den besseren Einsatz von Frauen, Älteren und Migranten, die Reform der Lehrlingsausbildung, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Hochschulen und die Schaffung von Möglichkeiten lebenslangen Lernens dürfen nicht mehr nur Lippenbekenntnisse sein.

Die Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit ist sträflich vernachlässigt worden. Vollbeschäftigung und Gerechtigkeit wird es nicht geben, wenn Menschen früh aussortiert werden. Das oberste Ziel der Jobzentren muss es sein, dass Menschen arbeiten. Das ist für den eigenen Selbstwert und die Wertschätzung in der Gesellschaft von großer Bedeutung.

Ein prosperierendes, einiges Europa wird es ohne integrierte Arbeitsmärkte nicht geben können. Die mangelnde Mobilität, aber auch die neuen Zäune innerhalb der Europäischen Union, die unberechtigte Ängste vor einer zerstörerischen Wohlfahrtsmigration zementieren, liefern gutes Anschauungsmaterial dafür, wie wenig weit wir damit gekommen sind. Trotz geringer Arbeitslosigkeit in manchen Teilen Europas und hoher Arbeitslosigkeit in anderen kommt es nur zu geringfügigen Wanderungen. Zirkuläre Migration, also ein produktives Hin und Her, wird aber gerade in Zukunft nötig sein, um rasche wirtschaftliche Anpassungen im Interesse aller in der europäischen Gemeinschaft zu ermöglichen. Die europäische Idee landet sonst auf dem Scherbenhaufen der Geschichte.

Arbeitsmarktpolitik ist dann besonders erfolgreich, wenn sie sich auf die Setzung von allgemeinen Zielen beschränkt. Jobs schaffen ohnehin nur die Unternehmen. Die Arbeitsagenturen müssen die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik bedacht auswählen und dosieren, kontrolliert durch eine wissenschaftliche Prüfung ihrer Effizienz.

Leider besitzen Politiker die Neigung, sich ständig in Details einzumischen. Dabei behindern sie häufig den Erfolg der Maßnahmen und dessen saubere Messung. Die Politik sollte sich stattdessen endlich mit den langfristigen Herausforderungen beschäftigen, bevor es zu spät ist.

Klaus F. Zimmermann ist Wirtschaftsprofessor in Bonn und Berlin und leitet das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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