Gemeinschaftsdiagnose in Not

Logo
24. Juli 2007, DIW Berlin: Wochenbericht

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 



Seit längerem wurde eine Reform der Gemeinschaftsdiagnose diskutiert, bei der zuletzt fünf Leibniz-Institute der Bundesregierung Ratschläge zur Konjunkturpolitik erteilten. Die Regierung störte der vielfältige Stimmenkanon bei der Prognosetätigkeit. Sie wollte den Beraterkreis verkleinern und effektiver mit der Regierungstätigkeit abstimmen. Das DIW Berlin drängte intern ebenfalls seit einigen Jahren auf Reformen: Das ineffektive und unproduktive Spielwiesen-Palaver, bei dem Dutzende von Mitarbeitern aller Institute wochenlang kaserniert semantischen Neigungen nachgehen, sollte zugunsten arbeitsteiliger, methodenorientierter Arbeit eingestellt werden. Die Analysen sollten forschungsorientierter an alternativen Szenarien orientiert sein und Ausfl üge in die Kommentierung von politischen Maßnahmen, die die fachliche Kompetenz von Konjunkturabteilungen (wie z.B. die Gesundheitsreform) übersteigen, sollten unterbleiben.

Zu Jahresbeginn einigte sich das Bundeswirtschaftsministerium mit den Leibniz-Instituten auf eine internationale öffentliche Ausschreibung, bei der nur drei bis vier Anbieter mit anerkanntem wissenschaftlichen Status (aus Deutschland Leibniz-Institute) und nur unabhängige Einrichtungen zum Zuge kommen sollten. Anbieterzusammenschlüsse sollten nicht zugelassen sein. Bereits bei der öffentlichen Ausschreibung ist dann vom wissenschaftlichen Status, und wie er gegebenenfalls nachzuweisen wäre, nicht mehr die Rede gewesen. Gefordert wurden nur noch „unabhängige Forschungsinstitute“. Unerwartet wurden plötzlich Bietergemeinschaften zugelassen. Die Vorprüfung des Bieterverfahrens überstanden dann eine Reihe von Instituten, deren wissenschaftliche Leistungsfähigkeit weder geprüft noch deren Unabhängigkeit gesichert ist.

Das neue Beraterkonsortium von Gemeinschaftsdiagnostikern der Bietergemeinschaften des Wettbewerbsverfahrens besteht nun aus acht Instituten aus drei Ländern. Es ist sicher nützlich, wenn Deutschland von den Erfahrungen Österreichs und der Schweiz lernt. Das ursprüngliche Ziel der Reduzierung der Teilnehmerinstitutionen auf maximal vier wird allerdings grandios verfehlt. Leichter wird eine gemeinschaftliche Diagnose dadurch nicht. Zu einer besseren Einbindung der Berater in das Regierungshandeln wird es somit wohl kaum kommen.

Schwerer noch wiegt die Rehabilitierung der Beratungsbeliebigkeit. Bei der Konjunkturanalyse ist das Tor für gesellschaftspolitisches Consulting wieder weit aufgestoßen worden. Der positive Stellenwert von wissenschaftsbasierter Politikberatung ist im Entscheidungsprozeß und in der Begleitdiskussion in den Medien immer wieder deutlich bestritten worden. Dies ist ein klarer Rückschlag für die Bemühungen von Wissenschaftsrat und Leibniz-Gemeinschaft, die wissenschaftliche Basis in den Wirtschaftsforschungsinstituten zu stärken, um so die wirtschaftspolitische Beratung zu verbessern.

Die Auswahl der acht Institute für die neue Gemeinschaftsdiagnose refl ektiert die politischen Präferenzen der Bundesregierung in der Großen Koalition und nicht die Kriterien des Wettbewerbsverfahrens. Letztlich kann man sich den Kundenwünschen nicht entziehen. Hinter dieser Erkenntnis müssen die eigentlich erforderlichen Mängelrügen über Verfahrensfehler, falsche politische Motivationen und problematische wissenschaftspolitische Konzeptionen zurücktreten. Das DIW Berlin passt mit seiner wissenschafts- und methodenorientierten Ausrichtung nicht zum derzeit von der Politik gewünschten Produkt. Insoweit ist der Ausschluss des DIW Berlin aus der Gemeinschaftsdiagnose konsequent und kann auch durch das Institut respektiert werden.

Das DIW Berlin wird weiter sein Konzept, forschungsbasierte Beratung und anwendungsorientierte Forschung zu kombinieren, umsetzen und für seine Produkte werben. Es wird die inhaltliche Auseinandersetzung um die beste Konjunkturanalyse und die überzeugendste makroökonomische Politik weiter mit vollem Einsatz führen und sich kritisch in die öffentliche Diskussion einbringen. Ob das zurück in die Gemeinschaftsdiagnose führt, ist dabei nicht von Relevanz. Dazu müssten sich auch die Rahmenbedingungen ändern: Wissenschaftliche Exzellenz und gesellschaftspolitische Unabhängigkeit müssten Priorität erhalten. Die Vergabe einer Gemeinschaftsaufgabe an konkurrierende Konsortien ist absurd. Konsequent wäre allenfalls ein Wettbewerb zwischen Bietergemeinschaften, die alternativ alleine die Gesamtaufgabe übernehmen.

Gemeinschaftsdiagnose und Wettbewerb schließen sich aber letztlich aus. Die Prognosevielfalt der Institute stellt die eigentliche Information dar. Sie vom Steuerzahler subventioniert zu unterdrücken ist problematisch. Der Schulterschluss der Regierung mit der Wissenschaft ist zwar leichter, wenn man sie zu einem einheitlichen Urteil zwingt und zwingen kann. Das ist nun allerdings schwieriger als jemals zuvor. So bleibt die Frage, ob sich die Gemeinschaftsdiagnose in der neuen Konstellation nicht bereits überlebt hat.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Back