Arbeitsmarktpolitik: Der neue Mut

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08. August 2002, Handelsblatt

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)
 

Spät, sehr spät gerät die Arbeitsmarktlage zum Spitzenthema der Auseinandersetzung zwischen den politischen Klassen Deutschlands. Am Rande einer drohenden Wahlniederlage hat die Regierung ihre "Politik der ruhigen Hand" über Bord geworfen. Sie müht sich, durch eine Vorabveröffentlichung von mutigen Ideen und neuen Konzepten aus der Hartz-Kommission das Blatt zu wenden. Dabei folgt die Medieninszenierung einer Doppelstrategie: Eine reformorientierte Öffentlichkeit soll durch bewußte Tabubrüche beeindruckt und die eigene konservative Klientel in den Verteilungsbürokratien an die Notwendigkeit eines Wechsels in der Regierungspolitik herangeführt werden.

Den zum Greifen nahen Wahlerfolg vor Augen, sieht die Opposition durch die Medienoperation des Kanzlers ihre Chancen schwinden. Sie reagiert durch die Vorlage eines Planes für einen "Aufschwung für Arbeit", um die wieder zunehmende Popularität der Regierung zu stoppen. Auch dieser Schachzug ist meisterlich auf seine Art: Die Vorlage ist weder neu noch aufregend. Teile des Wahlprogramms werden neu sortiert präsentiert. Aber auch das gehört zu den Hauptsätzen des politischen Geschäfts: In der entscheidenden Auseinandersetzung muß die konkrete Programmatik von der Regierung kommen. Die Opposition kann sich auf vage Umrisse ihres Wollens beschränken, sie muß vor allem Fehler vermeiden und darf nicht anecken.

Das ist beileibe kein Sommertheater. Dieser Wettbewerb um die richtige Arbeitsmarktpolitik ist nützlich, zwingt er doch die beiden Lager zu einer Demonstration ihrer Potentiale. Der Versuch einer Differenzierung ist offensichtlich. Die Regierung ist von einem langen Weg aus der Makroökonomie bei mikroökonomischen Reformen angekommen. Nach einer konsequenten Umsetzung konservativer Haushaltspolitik gewinnt die Erkenntnis Raum, dass neben einer besseren Vermittlung die Arbeitsanreize verstärkt werden müssen. Das Oppositionspapier wiederum suggeriert fast die Bereitschaft, die Grundsätze der Sparpolitik aufzugeben, um gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu schaffen.

Die zentralen Ansatzpunkte sind gefunden: Fehlende Jobs, unzureichende Arbeitsanreize und eine mangelhafte Vermittlung prägen das Bild. Dabei muß daran erinnert werden, dass die Ursache der persistenten Arbeitslosigkeit in der weltweiten Strukturverschiebung bei der Nachfrage zu Ungunsten gering qualifizierter Arbeit besteht. Das deutsche Wirtschaftsmodell, das besonders solidarisch und gerecht ist, erwies sich dabei den erforderlichen Anpassungsprozessen als nicht gewachsen. Verkrustungen und Inflexibilitäten sind allerdings das Ergebnis einer parteiübergreifenden sozialpolitischen Koalition.

Die Programmatiken der Hartz-Kommission und des Stoiber-Späth-Plans weisen trotz aller Unterschiede erstaunliche Gemeinsamkeiten auf. Dazu gehören zuvorderst Initiativen für mehr Selbstständigkeit. "Scheinselbständigkeit" soll wieder zugelassen werden. Die Opposition setzt auf eine allgemeine Stärkung des Unternehmertums, währenddessen das Hartz-Konzept mehr auf die Probleme der Schwarzarbeit und der Mobilisierung der kleinen Arbeitsverhältnisse eingehen will. Damit bewegt sich die Kommission präziser am Problem des Niedrigeinkommenssektors. Mehr innovative Unternehmensgründungen stärken zwar den Standort Deutschland, sie sichern aber nicht notwendigerweise die Beschäftigungschancen für gering Qualifizierte.

Die Hartz-Kommission hat in ihrem wahrscheinlich wichtigsten und innovativsten Teil den Ausbau der Leiharbeit gefordert und will dies auch in staatlichen Agenturen vorantreiben. Auch das Stoiber-Späth-Papier bekennt sich zur Weiterentwicklung der privaten Leiharbeit. Wesentlich wird sein, wie diese Ansätze wettbewerblich ausgestaltet werden. Private Initiativen müssen gestärkt werden. Von ihnen darf jedoch nicht die Lösung des globalen Vermittlungsproblems erwartet werden.

Gemeinsamkeiten bestehen ebenfalls, wenn auch versteckt, bei der Problematisierung des Kündigungsschutzes. Während die Opposition allerdings für eine direkte Lockerung eintritt, will die Kommission den Kündigungsschutz durch Leiharbeit sozial verträglich aushebeln. Es wird sehr darauf ankommen, welche Flexibilitäten in diesem Bereich tatsächlich implementiert werden. Im Grundsatz bekennen sich ferner beide Papiere zur Workfare, d. h. zur Forderung, staatliche Leistungen an die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme zu knüpfen. Haushaltsdienstleistungen sollen gefördert werden. Die Opposition will dies durch eine steuerliche Absetzung der Kinderbetreuungskosten, die Kommission durch eine direkte Entlastung der Dienstleistungsaufwendungen erreichen.

Die aktive Arbeitsmarktpolitik, insbesondere die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) sollen nach beiden Initiativen zurückgefahren werden. Einigkeit im Grundsatz besteht auch über eine Notwendigkeit der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
Bedeutende Unterschiede bleiben. So setzt die Opposition auf eine allgemeine Wachstumspolitik, etwa auf eine Stärkung der daniederliegenden öffentlichen Investitionen. Sie verweigert Einsichten in ihre Vorstellungen zur institutionellen Reform der Bundesanstalt für Arbeit. Sie bekräftigt das gescheiterte Modell der Einheit von Vermittlung und Betreuung aus einer Hand (Arbeitsamt 2000). Dies hat die Bürokraten in der Praxis überfordert und vermittelt ihnen unklare Zielvorgaben. Aber auch die Hartz-Kommission will, soweit bisher erkennbar, nicht an eine deutliche institutionelle Reform heran. So hält die Kontrollstruktur am gescheiterten Modell der Drittel-Parität aus öffentlicher Hand, Gewerkschaften und Unternehmensvertretern fest. Die Landesarbeitsämter sollen nicht konsequent in ihrer Funktion reformiert oder abgeschafft, sondern zu Innovationszentren für Arbeit ausgebaut werden. Die Opposition setzt weiter auf teure und uneffektive Förderprogramme des Niedriglohnbereichs, von denen sich die SPD längst abgesetzt hat.

Insgesamt betrachtet, macht das Stoiber-Späth-Papier einen entscheidenden Punkt, wenn es das Fehlen von geeigneten Arbeitsplätzen zum zentralen Arbeitsmarktthema stilisiert. Es bleibt aber dann entscheidende Antworten schuldig, wie diese Jobs insbesondere im Niedriglohnbereich geschaffen werden können. Das Hartz-Papier beschreibt mutige Reformen. Es setzt aber zu einseitig auf eine Verbesserung der Vermittlung.

Vermissen kann man in beiden Papieren eine klare Fokussierung auf den Niedriglohnsektor und die Lösung der Defizite bei der Qualifizierung und Weiterbildung. Aber noch ist Zeit für Nachsteuerungen in den politischen Programmen. Weitere Überraschungen sind dabei möglich - und erwünscht.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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