Die Lösung liegt im Niedriglohnsektor

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25./26. Mai 2002, Berliner Zeitung

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)
 

Der Niedriglohnsektor ist der Schlüssel zur Lösung des deutschen Arbeitsmarktproblems. Ausgelöst von einem weltweiten Einbruch der Nachfrage nach geringeren Qualifikationen im Produktionsprozeß und verstärkt starren deutschen Sozial- und Arbeitsmarktsystemen versinken immer mehr Menschen ohne ausreichende Berufsqualifikationen in der Chancenlosigkeit. Gerade beginnen alle Parteien angesichts der anstehenden Bundestagswahlen diese Zusammenhänge zu entdecken und milliardenschwere Programme zur Entwicklung des Niedriglohnsektors in ihre Parteiprogramme aufzunehmen. Da mag es verwirren, daß Ökonomen vor einer vorschnellen Umsetzung dieser Absichten warnen und differenziertere Analysen und Maßnahmen einfordern.

Leistungsfeindliches System

Es bleibt richtig, daß ohne eine Entwicklung des Niedriglohnsektors auf viele Jahre hinaus eine nennenswerte Bekämpfung der Sockelarbeitslosigkeit unmöglich erscheint. Trotz aller Anstrengungen im Bildungsbereich und der sich abzeichnenden demographisch bedingten Schrumpfung des Arbeitsmarktes gibt es keine Anzeichen, daß wir diese Krise aussitzen können. Ganz zu schweigen davon, daß eine solche Strategie auf dem Rücken vieler arbeitswilliger Menschen geschieht, die so keine Perspektive finden. Darüber besteht unter den Fachleuten ein erkennbar breiter Konsens.

Wenig umstritten, auch nicht in der Politik, ist die These, daß das deutsche Steuer- und Transfersystem gerade im Niedrigeinkommensbereich leistungsfeindlich ist. Aber selbst wenn Arbeitsbereitschaft durch geeignete Maßnahmen geweckt werden könnte, dann fehlen häufig Jobs. Der Mangel an Arbeitsplätzen ist insbesondere in Ostdeutschland erkennbar. Erfreulicherweise hat die Politik erkannt, daß öffentliche Beschäftigungsprogramme (ABM, SAM) keine Problemlösungen darstellen. Im Vergleich zur Vorwahlsituation vor vier Jahren werden diese Programme heute erheblich weniger genutzt.

Hohe Belastung für den Staat

Was machen die Parteien nun falsch? Die Wahlprogramme konzentrieren sich auf eine überwiegend an der Arbeitnehmerseite ansetzende Förderung der Arbeitsaufnahme durch eine Beteiligung an den Sozialversicherungsbeiträgen. Flächendeckend konzipiert profitieren davon so auch Menschen aus der Stillen Reserve, alle bereits schon im Niedriglohnbereich Arbeitende und solche Berufstätige, die sich aufgrund der Förderung aus anderen Einkommensbereichen in diesen Sektor hineinbewegen. Es kommt nach Untersuchungen des IZA dabei zu massiven Umwälzungen, die aber hohe Förderbelastungen für den Staat und eine nur mäßige Reduktion der Zahl der Arbeitslosen und der Sozialhilfeempfänger verursachen würden. Angesichts knapper öffentlicher Kassen erscheint dies deshalb ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein. Mit dem "Zuckerbrot" monetärer Anreize läßt sich also kein Durchbruch erzielen.

Die vom Münchener Ifo-Institut propagierte "Peitsche" massiver Kürzungen der Sozialhilfeleistungen basiert auf einer soliden Analyse der Problematik. Kein Ökonom würde die angedachten Optionen der Kollegen grundsätzlich verwerfen wollen. Aber können so die Menschen aus der Schattenwirtschaft gezogen werden? Führt nicht die Notwendigkeit, dabei öffentliche Beschäftigung im massivem Umfang zu schaffen, in die alte Sackgasse der Beschäftigungsprogramme, die die Wissenschaft seit langem als kontraproduktiv brandmarkt? Auch darf bezweifelt werden, daß ein Großteil (und schon gar nicht alle) dem Niedrigeinkommensbereich zurechenbaren Personen im Mehrmillionenbereich so in Arbeit gebracht werden können.

Das Hauptproblem sind fehlende Jobs. Deshalb bietet sich eine Förderung der Unternehmen an, die weit stärker auf Anreize reagieren als die Arbeitnehmer. Hier könnte eine beträchtliche Ausweitung des Arbeitsvolumens erreicht werden. Aber auch die Unternehmer werden andere Stellen umwandeln, um in den Förderbereich zu gelangen. Dennoch ist dies eine Option, die mit vertretbarerem Förderaufwand einen wesentlichen Zuwachs an Beschäftigung schaffen kann.

Langer Atem nötig

Eine solche Strategie wird um so kostengünstiger, wenn die neuen Arbeitsplätze durch Problemgruppen des Arbeitsmarktes frühzeitig besetzt werden könnten. Hier hat Gersters neue Arbeitsagentur eine Riesenchance: Mit dem neuen Job-Aktiv-Gesetz können Menschen über 50 und Ungelernte frühzeitig mit einer Wiedereingliederungshilfe in regulären Unternehmen Arbeit finden. Mit langem Atem betrieben ist dies die beste Strategie zum Abbau der Sockelarbeitslosigkeit.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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