Der mühsame Weg durch die Fakten

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09. Mai 2005, Süddeutsche Zeitung

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)

Forum: Wie gut sind Konjunkturforscher?

Prognosen sind nie richtig und trotzdem nützlich / Erwartungsdruck durch die Medien
 

Die Enttäuschung über die anhaltende Wachstumsschwäche Deutschlands weicht derzeit der Empörung über die Verkünder, die Wirtschaftsforscher. Ihre Analysen und Konjunkturprognosen seien dogmatisch, fragwürdig - und regelmäßig falsch. Die Debatte, die inzwischen sogar das Feuilleton manch angesehener Tageszeitung beschäftigt, gipfelt gelegentlich in der Forderung, die Politik müsste aus den Fängen der Nationalökonomie befreit werden. Auf ihre Gutachten könne gut verzichtet werden.

Tatsächlich wird in der Öffentlichkeit zur Ökonomie viel Fragwürdiges ernsthaft diskutiert. Was bedeutet schönes Wetter für die Konjunktur? Bringt der deutsche Papst die Initialzündung für den Aufschwung? Führt die Fußball-Weltmeisterschaft die Volkswirtschaft auf einen Wachstumspfad? All dies sind unnütze Überlegungen. Der Eindruck, die Politik folge der Nationalökonomie, ist allerdings falsch. Wissenschaft wird meist benutzt, um bereits gefällte politische Maßnahmen zu rationalisieren. Reformen werden nicht hauptsächlich nach den erwarteten ökonomischen Effekten ausgewählt, sondern ob sie durch das augenblickliche Fenster der politischen Opportunitäten passen.

Natürlich sind Ökonomen häufig sprachlos, sie haben weder genügend Talent oder Training, noch die nötige Demut, um komplexe Zusammenhänge einer breiten Öffentlichkeit transparent zu machen. Folglich ist der ökonomische Analphabetismus weit verbreitet. Das hat Paul Krugman zur These verleitet, die Hauptaufgabe der Ökonomen in der Öffentlichkeit sei, diese über die Existenz von Identitäten aufzuklären.

Empirische Wissenschaft

Konjunkturprognosen erfreuen sich hoher öffentlicher Aufmerksamkeit. Zugegeben, Wissen und Prognosesicherheit von Konjunkturmodellen sind begrenzt. Dies steht im Gegensatz zu der großen Bedeutung, die die makroökonomische Entwicklung für private Haushalte, Unternehmer und Finanzjongleuren hat. Konjunkturprognosen sind von ihrer Anlage her aber bedingte Wahrscheinlichkeitsaussagen. Sie können nur zufällig richtig sein. Dass sie sich, technisch gesehen, als immer falsch erwiesen haben, braucht nicht zu überraschen. Dies ist einfacher Ausdruck der Tatsache, dass die Ökonomie eine empirische Wissenschaft ist.

Eine Prognose des Typs "Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist" wäre immer richtig, nur völlig nutzlos, sie hat keinen empirischen Gehalt. Aussagen sind um so nützlicher, je mehr Realität sie ausschließen, je mehr sie falsch sein können. Der empirische Befund, dass Konjunkturprognosen immer falsch sind (wenn er sich denn fände), heißt nicht, dass sie nutzlos wären.

Prognosen nutzen mathematische Modelle zu komplexen Wahrscheinlichkeitsaussagen, die aufgrund von Messdaten und validen Strukturbeziehungen ermittelt werden. Sie sind überlagert von Zufallsprozessen, die die getroffenen Aussagen aufheben können. Annahmen über die Entwicklung bedeutender Faktoren, etwa über Ölpreise oder Wechselkurse, die Verfügbarkeit und Qualität von Daten sind deshalb für die Prognosegüte mindestens genauso wichtig, wie der akademische Forschungsstand, der durch die Solidität der ermittelten Strukturbeziehungen reflektiert wird.

Prognosefehler entstehen, wenn die Daten amtlich revidiert werden, sich Annahmen oder ermittelte Strukturbeziehungen infolge von Verhaltensänderungen der Individuen als falsch erweisen. Jede Punktprognose ("Die Wirtschaft wird um ein Prozent wachsen") hat einen größeren oder kleineren Unsicherheitsbereich. Besser wäre es, der Öffentlichkeit eine Intervallprognose ("Das Wachstum ist zwischen 0,5 - 1,5% zu erwarten") zuzumuten. Die Unsicherheit an Wendepunkten ist groß, das war das Problem der letzten Jahre. Dieses Jahr stiften eine neue Messung von Arbeitslosigkeit und die komplette Umstellung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung durch das Statistische Bundesamt neue Verwirrung und bieten Anlass zu Prognoseirrtümer und -änderungen.

Häufige Revisionen

Jahresprognosen dienen einer mittelfristigen Orientierung von Politik und Wirtschaft. Unterjährige Revisionen führen zu Unsicherheiten und Handlungsdruck in der Wirtschaft. Sie finden häufiger statt, als es für die Disziplin und für die Wirtschaft gut ist. Die ökonomische Bedeutung der Prognosen, der Wettbewerbsdruck zwischen den Prognoseanbietern und der Druck der Medien führt dazu, dass viele Anbieter (Forschungsinstitute, Banken, Interessengruppen) ihre Prognosen zeitlich verteilt mit unterschiedlichen Akzenten auf den Markt werfen. Dadurch alleine entsteht der Eindruck ständiger Revisionen. Das große Medieninteresse und der Wettbewerb locken die Anbieter ferner dazu, ihre Prognosen häufiger zu revidieren.

Schädlich ist, wenn dies als Inkompetenz wahrgenommen wird, die Akteure verunsichert werden und die ständigen Anpassungen unnötige Transaktionskosten entstehen lassen. Prognosen können auch zu Verhaltensänderungen der Menschen führen, die die Vorhersagen ungültig machen - oder sie bestätigen. Dann ist es aber nicht mehr so wichtig, ob Prognosen tatsächlich eintreffen. Es kommt nur darauf an, dass sie als informativ angesehen werden, und ihre Entscheidungen verbessern. Dann sind mehr Prognosen wünschenswert, auch wenn sie schlussendlich wegen der Anpassungsreaktionen als falsch gemessen werden.

Tatsächlich sind Wirtschaftsprognosen über einen längeren Zeitraum betrachtet weit mehr richtig als falsch gewesen. Auch ist es eine Illusion zu glauben, man könne ökonomische Gesetze ungestraft ignorieren. So bleibt nur der mühsame Weg durch die Welt der Fakten.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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