Praktikable Lösungen sind nötig

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26. September 2012, PERSONALquarterly

(Bericht über Modellprojekt "Anonymisierte Bewerbungsverfahren")
 

Anonymisierte Bewerbungen gelten als Joker, um Diskriminierung zu mindern. Zwischen wissenschaftlich nachweisbarer Wirkung und Praktikabilität muss unterschieden werden.

Das Pilotprojekt war für die Wortjongleure unter den Journalisten ein gefundenes Fressen: "Die gesichtslosen Bewerber kommen" titelte spiegel-online am 25.11.2010, "Augen zu und durch" schrieb am 26.11.2010 sueddeutsche.de. Angekündigt wurde in beiden Artikeln ein Modellprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu anonymisierten Bewerbungsverfahren. Acht Organisationen strichen die Merkmale Name, Alter, Nationalität und Geburtsort, Geburtsdatum, Familienstand und Foto. Wegen einiger Fördermechanismen wurden die Merkmale Geschlecht und Behinderung nicht bei allen Institutionen weggelassen. Das Streichkonzert erfasste auch E-Mail-Adressen, Telefonnummern, Adressen und Beschäftigungszeiträume, um indirekte Zuordnungen zu erschweren. Unternehmen wie L'Oréal Deutschland und Procter & Gamble, die Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen, die Stadtverwaltung Celle - und natürlich vorbildlich das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, zu dem die Antidiskriminierungsstelle gehört, schwärzten oder übertrugen die Daten in standardisierte Tabellen, sie nutzten online standardisierte Bewerbungsformulare oder schalteten die verräterischen Daten blind. Der Blick richtet sich eher auf die Qualifikation Personalverantwortliche sollten sich an der Qualifikation orientieren - und sie taten das auch. Denn 8.550 anonymisierte Bewerbungen, 1.293 Einladungen an Bewerber und 246 Arbeits-, Studien- und Ausbildungsplätze später evaluierten Forscher der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt an der Europa-Universität Viadrina (Kowa) in Frankfurt/Oder im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle, ob anonymisierte Verfahren praktikabel sind. Und Wissenschaftler des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) gingen als Partner der Frage nach, welche Wirkung die Anonymisierung hat und deren Ergebnisse die sueddeutsche.de am 14.4.2012 zu der provozierenden Überschrift "Inkognito zum neuen Job" veranlasste. Die Kowa befragte Personaler, die einräumten, dass schon das Fehlen eines Fotos die Gedanken stärker auf die Qualifikation lenkt. Da nachträgliches Schwärzen oder Löschen Zeit kostet, gilt Personalentscheidern ein standardisiertes Bewerbungsformular als empfehlenswerte Lösung. Ein positives Nebenprodukt des Pilotprojekts bestand, so die Befragten, in der Diskussion über die bisherige Rekrutierungspraxis. "Standardisierung führt zu Objektivierung", resümiert Kowa-Mitarbeiterin und Diplom-Sozialwirtin Ines Böschen. "Aber ob die Chemie stimmt, sieht man erst im Bewerbungsgespräch." Organisationen waren bereits "gut aufgestellt" Die Analyse der Daten ergab, so das IZA, dass die Einladungswahrscheinlichkeit für potenziell diskriminierte Gruppen, also Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund, durch die Anonymisierung der persönlichen Daten steigt. Damit sei das Ziel des Pilotprojekts grundsätzlich erreicht, die Chancen aller Bewerbergruppen tendenziell anzugleichen. In der Gruppe der Bewerber mit Migrationshintergrund gab es eine Differenzierung: Nur wenn die Chancen in einer Organisation zuvor schlechter standen, konnten die Bewerber in der Einladungswahrscheinlichkeit aufschließen. Waren bereits in der Ausgangssituation Vorkehrungen gegen systematische Unterschiede getroffen worden - etwa durch stark strukturierte Bewerbungsverfahren -, führte das anonymisierte Verfahren zu keinem Effekt. Die IZA-Forscher weisen darauf hin, dass die Wirkungsanalyse keinen repräsentativen Schluss zulässt. Die teilnehmenden Organisationen seien schon zuvor in Sachen Vielfalt unterwegs gewesen, also eine positive Auslese. Deshalb sei davon auszugehen, dass die Unterschiede zwischen klassischen und anonymisierten Bewerbungsverfahren bei einer willkürlicheren Auswahl der Teilnehmer signifikanter ausfallen würden. Volkswirtin und Sozialpsychologin Annabelle Krause, die am IZA als Resident Research Affiliate arbeitet, führt aus: "Gut wäre in einem nächsten Schritt eine Mischung aus anonymisierten und nicht anonymisierten Daten und eine größere Anzahl von Unternehmen, dann könnte man die Effekte sicherer messen." Die Größe des Unternehmens ist mit entscheidend Eigentlich macht diese Analyse kaum schlauer - was kein Wunder ist, da es bereits ältere Studien zur Diskriminierung gab - mit deutlichen bis eindeutigen Ergebnissen. Eine davon haben am Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie der Universität Konstanz Professor Leo Kaas und sein wissenschaftlicher Assistent Christian Manger geliefert. Die Forscher, die ihr Arbeitspapier 2010 beim IZA veröffentlichten, wollten messen, ob Stellenbewerber mit ausländischen Wurzeln auf dem deutschen Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Sie verschickten - als Ergebnis eines Lehrprojekts - in einem Feldversuch über 1.000 Bewerbungen, bezogen auf Praktikumsstellen für Wirtschaftsstudenten. Den inhaltlich gleichwertigen Bewerbungsunterlagen leistungsstarker Studierender - deutsche Staatsbürger, Muttersprachler - wurden nach dem Zufallsprinzip typisch deutsche und typisch türkische Namen zugeordnet: Tobias Hartmann und Dennis Langer standen in Konkurrenz zu Fatih Yildiz und Serkan Sezer. Das prägnante Ergebnis: Bewerber mit türkischem Namen erhielten insgesamt 14 % weniger positive Antworten. In kleineren Unternehmen waren es sogar 24 %. Auch hier machte sich bereits bemerkbar, dass Standardisierungen in Großunternehmen weniger Raum für subjektive Einschätzungen lassen. Gleiche Chancen hatten die Bewerber Sezer und Yildiz lediglich, wenn Empfehlungsschreiben eindeutig deutscher Arbeitgeber aus früheren Praktika angehängt waren. Das Ergebnis ist umso bemerkenswerter, weil die Untersuchung im Sektor Hochqualifizierter angesiedelt wurde. Professor Kaas sieht in einer Studie mit schriftlichen Bewerbungen "einen sauberen Versuchsaufbau". Nach diesem Forschungsdesign hatten bereits Marianne Bertrand und Sendhil Mullainathan an der Graduate School of Business der Universität Chicago die Diskriminierung von Afroamerikanern untersucht. Laut ihrer 2002 veröffentlichten Arbeit über Emily und Brendan sowie Lakisha und Jamal erhielten Bewerber mit typisch weißen Namen 50 % mehr Rückantworten. Skeptischer wird Kaas, wenn, wie in einem älteren Versuch in den USA, schwarze und weiße Schauspieler in einem Audit als Bewerber auftreten. "Die Leute wissen, dass sie in einem Versuch mitspielen und sie treten unterschiedlich auf." Von einem anderen Forschungsdesign verspricht er sich eher Erkenntnisse über die Ursachen und Schritte der Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund. "Interessant wäre ein Laborversuch, in dem die Entscheider am PC systematisch variierte Informationen über die Bewerber erhalten", meint Leo Kaas. "Wenn man mit mobilen Labors in die Firmen ginge, könnte man in großer Zahl erheben, wie Personalabteilungen zu ihren Entscheidungen kommen." Es soll weitergeforscht werden Doch für dieses Modell gibt es bisher keine konkreten Pläne. Vielmehr stehen bei der Anonymisierung von Bewerbungsunterlagen in Deutschland weiterhin Handlungsempfehlungen für Unternehmen und Institutionen im Vordergrund. Praktikabilität geht vor wissenschaftlichen Purismen. Davon, dass diskriminiert wird, kann bis zum Beweis des Gegenteils ausgegangen werden. Das standardisierte Online-Formular aus der Bundesstudie, das von vorneherein auf Name, Alter und Foto verzichtet, soll weiterentwickelt und seine Wirkung untersucht werden. Denn da dieses Formular als praktikabler gilt als alle nachträglichen Eingriffe in Bewerberdaten, könnte es für Unternehmen und Institutionen, die keine großen Personalabteilungen beschäftigen, eine spannende Lösung sein. Ob das für kleine und mittelständische Unternehmen tatsächlich ein Weg zu mehr Vielfalt ist, wollen die Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit eigenen Projekten prüfen. Sie lehnen sich an die Kowa-Ergebnisse an. Beide Bundesländer werden noch in diesem Herbst mit Modellversuchen auf Länderebene starten und die Ergebnisse wissenschaftlich evaluieren lassen. Ihr Ziel: Einen einfachen, effizienten und kostengünstigen Weg zur Implementierung des anonymisierten Verfahrens zu finden, um in der ersten Runde von Bewerbungen für Mitglieder potenziell diskriminierter Gruppen eine höhere Einladungswahrscheinlichkeit zu erlangen. Gefragt wird nicht danach, ob diskriminiert wird, sondern nach einer Lösung zur Senkung der Anzahl diskriminierender Entscheidungen.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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