Europas gemeinsamer Arbeitsmarkt

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07. August 2012, Basler Zeitung

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 

Zugegeben: Der Blick auf den europäischen Arbeitsmarkt ist einigermaßen verwirrend. Da gibt es auf der einen Seite Länder wie Spanien, Griechenland oder Italien, die unter einer Rekordarbeitslosigkeit, insbesondere unter den jungen Leuten, leiden. Und da sind andererseits Länder wie die Schweiz, Deutschland, die Niederlande und Österreich, bei denen nicht der Mangel an Arbeitsplätzen, sondern der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften mehr und mehr zum zentralen Problem wird.

Das ist auch ein Blick auf zukünftige Arbeitsmarktstrukturen: Wir werden dauerhaft beides in Europa haben, zu wenig Fachkräfte und Arbeitslosigkeit bei Problemgruppen.

Jedes Land in Europa hat ganz spezifische Bedingungen und Ursachen seiner jeweiligen Beschäftigungssituation. So ist in den derzeitigen Euro-Krisenländern der Dienstleistungsanteil sehr hoch und entsprechend abhängig ist die Wirtschaft von der jeweiligen Beschäftigungsnachfrage. Andere Länder müssen vor allem ihre agrarischen Strukturen überwinden. Während es Ländern wie Frankreich oder in Skandinavien vorbildlich gelingt, Beruf und Familie so zu fördern, dass die weibliche Erwerbsquote vergleichweise hoch ist, schneidet der jetzt wieder oft gelobte „Musterschüler“ Deutschland sowohl bei der jährlichen Geburtenrate als auch bei der Quote der weiblichen Erwerbstätigkeit und der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer international eher schlecht ab. Die Überalterung der Gesellschaft mit ihren Folgen für Beschäftigung und Sozialsysteme ist ebenfalls von Nation zu Nation recht unterschiedlich ausgeprägt.

Um die notwendige Dynamik auf dem Arbeitsmarkt zu erzeugen, muss deshalb jedes europäische Land seine eigene Reformstrategie wählen. Es gibt nicht „das“ Patentrezept schlechthin für Wachstum und Vollbeschäftigung – und darum tun sich Politiker wie Ökonomen gleichermaßen schwer mit einer konsistenten Beschäftigungsstrategie für unseren Kontinent.

Die zentrale Herausforderung lautet allerdings: Wir machen wir in Europa die Arbeitsmärkte demografiefest? Dieses Problem hat zwar in Zentraleuropa schon dramatisch konkrete Konturen, aber das Problembewusstsein fehlt oftmals noch völlig.

Wie stimmen wir Bildungs- und Beschäftigungssystem besser aufeinander ab, um die knapper werdenden Potenziale besser zu heben? Wie schaffen wir Anreize, Ältere länger in Beschäftigung zu halten nachdem die Politik der „Frühverrentung“ ökonomisch wie gesellschaftlich in die Irre geführt hat? Das sind nur zwei der Kernfragen.

Wollen wir den europäischen Arbeitsmarkt demografiegrafiefest machen, brauchen wir überdies eine klug gesteuerte Zuwanderung für Mangelberufe wie Ingenieure, Mediziner, Facharbeiter und Teilen des Dienstleistungsbereich, etwa bei Gesundheit und Pflege. Entgegen vielen Vorurteilen sind solche qualifizierten Zuwanderer wirtschaftlich erfolgreich; sie schaffen direkt und indirekt Arbeitsplätze für Einheimische. Länder wie Kanada oder Australien zeigen, wie eine konsequente Steuerung nach Kriterien wie Qualifikation, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse und Alter funktioniert. Zuletzt hat auch Österreich am 1. Juli 2011 erfolgreich ein solches transparentes Modell mit einem Punktesystem für Fachkräfte aus Drittstaaten außerhalb der EU eingeführt. Letztlich bewährt sich das System, das auf den Filter des Arbeitsmarktes setzt.

Ebenso klug ist es, die Arbeitsmärkte in den südeuropäischen Krisenstaaten vorübergehend durch verstärkte Migration zu entlasten. Warum sollten junge Arbeitslose mit guter Qualifikation aus Griechenland oder Spanien nicht verstärkt in jenen europäischen Ländern zum Einsatz kommen, die Fachkräfte händeringend suchen? Sie tragen so zu einer Steigerung des gesamteuropäischen Wohlstandes bei und wir verhindern eine verlorene Generation. Später gehen viele - das wissen wir aus der Migrationsforschung - mit ihren gewonnenen Erfahrungen wieder zurück in ihre Heimat und helfen erfolgreich bei der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung mit, sobald dort Reformen greifen und sich ihnen die entsprechenden Chancen bieten. Flexible Arbeitsmärkte sind der Kern der europäischen Einigung.

Die zweite große europäische Herausforderung besteht deshalb darin, die nationalen Reformanstrengungen für eine Liberalisierung der Arbeitsmärkte aktiv zu unterstützen. Dies ist der Schlüssel schlechthin für ein stärkeres wirtschaftliches Wachstum. Hierfür gibt es durchaus ermutigende Signale:

- Portugal hat mit der Überprüfung seiner rigiden Arbeitmarktgesetzgebung begonnen und will vor allem seine schulische wie berufliche Bildung modernisieren.
- Spanien hat angekündigt, mit Arbeitsmarktreformen den Unternehmen mehr Flexibilität zu ermöglichen, etwa durch dezentralisierte Tarifverhandlungen
- Italien hat soeben erfolgreich ein Reformpaket für eine proaktive Beschäftigungspolitik auf den Weg gebracht.

Allerdings wird es erfahrungsgemäss Jahre dauern, bis diese Medizin wirkt. Europa braucht also einen langen Atem.

So unterschiedlich die Wege und Strategien in den einzelnen Ländern sein mögen, das Ziel kann nur ein gemeinsames sein: Wir müssen alles tun, damit sich Europa nicht unter dem Druck wachsender ökonomischer Ungleichgewichte immer mehr auseinanderdividiert. Denn nur als gemeinsamer, möglichst offener Wirtschaftsraum kann sich unser Kontinent im globalen Wettbewerb behaupten. Noch wirkt er von außen betrachtet als kleinteiliger Flickenteppich. Daraus einen gemeinsamen Arbeitsmarkt zu machen, ist jetzt eine vorrangige Aufgabe.

Von Klaus F. Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn, das ein weltweites Forschernetzwerk von 1200 Wissenschaftlern in 45 Ländern unterhält. Er berät die Europäische Kommission und die Weltbank in Beschäftigungsfragen.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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