Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz aus der Arbeitsmarktkrise?

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November 2002, wisu - das wirtschaftsstudium 11/2002

(Gastbeitrag Klaus. F. Zimmermann)
 

Mit dem zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen "Job-AQTIV-Gesetz" (AQTIV = Aktivieren, Qualifizieren, Trainieren, Investieren, Vermitteln) hat die Bundesregierung einen wichtigen Schritt zu einer Neuorientierung der Arbeitsmarktpolitik getan. Die zentralen Bestandteile des Gesetzes - Verbesserung der Qualität der Arbeitsvermittlung, Erstellung von Bewerberprofilen, aktive Einbindung des Arbeitslosen in den Vermittlungsprozess, Stärkung der beruflichen Weiterbildung für Ungelernte und Ältere - geben eine vielversprechende Richtung vor. Der überfällige Kurswechsel weg von der bloß reagierenden Verwaltung der Arbeitslosigkeit hin zur Vermittlungs-Dienstleistung mit präventivem Charakter könnte damit eingeleitet sein. Wenn das vom Gesetz postulierte Prinzip des "Förderns und Forderns" tatsächlich Einzug in die aktive Arbeitsmarktpolitik hält, erscheint eine Besserung der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation durchaus möglich.

Allerdings ist es auch möglich, dass das Job-AQTIV-Gesetz letztlich kaum Wirkung zeigt. Denn es wird derzeit zu zögernd in die Praxis umgesetzt. Außerdem erscheinen die Willensbekundungen zu halbherzig, eine wissenschaftlich fundierte Erfolgskontrolle zuzulassen. Sollte das Job-AQTIV-Gesetz auf diese Weise "verhungern", wäre dies ein herber Rückschlag für die Bemühungen, frischen Wind in der Arbeitsmarktpolitik wehen zu lassen.

Durch eine frühzeitigere und intensivierte Betreuung und Beratung der Arbeitslosen sollen die Arbeitsämter - so der Leitgedanke des Gesetzes - nicht nur die Chancen auf eine raschere Vermittlung vergrößern, sondern auch die Arbeitslosen selbst aktivieren. Dazu wird zwischen dem Arbeitsamt und dem Arbeitslosen eine sog. Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen.

In ihr werden die konkreten Angebote des Arbeitsamtes sowie die Pflichten des Arbeitslosen fixiert - beispielsweise, dass er Eigeninitiative ergreifen soll. Darüber hinaus ist die Erarbeitung eines individuellen Profils seiner Stärken, Schwächen und Arbeitsmarktchancen vorgesehen. Wichtig ist dabei der Grundsatz, dieses "Profiling" unmittelbar nach Beginn der Arbeitslosigkeit vorzunehmen, um den Jobsuchenden so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt zu reintegrieren. Innerhalb festgelegter Fristen soll eine Erfolgskontrolle der mit den Arbeitslosen vereinbarten Schritte stattfinden.

Allerdings dürfte die Praxis lehren, dass dies wohl leichter gesagt als getan sein wird. Denn Voraussetzung für den Erfolg dieser Maßnahmen ist mit Sicherheit eine wesentlich größere Personalintensität und Serviceorientierung bei den Arbeitsämtern. Sollen Eingliederungsvereinbarung und "Profiling" ernsthaft eingesetzt werden und soll - was in der Praxis unverzichtbar ist - ein intensiverer Kontakt zwischen Arbeitsämtern und Betrieben entstehen, so verlangt das nach weit mehr als routinierter Abwicklung der Personalakten im Fließbandstil. Damit wird es also auch vom Umfang der beabsichtigten Reformen bei der Bundesanstalt für Arbeit sowie von der Personalumschichtung und Personalqualifikation im originären Vermittlungsbereich abhängen, ob diese Instrumente auch tatsächlich greifen. Denn die bislang angestrebten Personalkapazitäten dürften, gemessen an den Erfahrungen anderer Länder, ungeachtet der bereits erfolgten Aufstockung kaum ausreichen.

Konsequenterweise sieht das Job-AQTIV-Gesetz die Möglichkeit vor, Dritte mit der Arbeitsvermittlung zu beauftragen (Stichwort "Vermittlungsgutscheine"). Der unmittelbaren personellen Entlastung steht allerdings ein größerer Kontrollaufwand gegenüber. Außerdem sind die Vermittlungsbedingungen für private Arbeitsvermittler nicht attraktiv genug ausgestaltet. Insofern ist Skepsis angebracht, ob der prinzipiell so vernünftige Ansatz des "Profiling" und der individualisierten vertraglichen Absprache am Ende nicht erneut in ein Schema gepresst wird und scheitert.

Zu Recht bricht das Job-AQTIV-Gesetz mit der ebenso alten wie falschen Tradition, den Einsatz arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen von der Dauer der Arbeitslosigkeit abhängig zu machen. Der Zugang zu solchen Angeboten soll nun sofort möglich sein, wenn es auf Grund des Profiling sinnvoll erscheint. Allerdings bleibt abzuwarten, ob die Arbeitsamt-Betreuer nicht versucht sein werden, das Füllhorn der zur Verfügung stehenden Haushaltsansätze vorschnell auszuschütten, um auf diese Weise scheinbare Erfolge melden zu können.

Durch das Gesetz soll es für den Arbeitgeber attraktiver werden, ältere und gering qualifiziert Beschäftigte weiterzubilden. Denn es sind vor allem diese beiden Gruppen, die überproportional stark von der Arbeitslosigkeit betroffen sind. Die Qualifizierung soll dazu beitragen, Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Doch ob es ausreicht, Unternehmen mit der Erstattung der Weiterbildungskosten zu ködern, ist fraglich. Denn Ursache der hohen Arbeitslosigkeit älterer und wenig qualifizierter Menschen sind vor allem die hohen Kündigungsschutzhürden, üppige faktischen Vorruhestandsprogramme sowie die insgesamt zu hohen Lohnkosten für gering qualifizierte Arbeit.

Dennoch ist unbestritten, dass der Versuch unternommen werden muss, Arbeitnehmer weiterzubilden, da ihr Arbeitslosigkeitsrisiko sonst weiter wachsen würde. Hier kann dann auch gleich die ebenfalls in das Gesetz aufgenommene Job-Rotation ihre Tauglichkeit beweisen: So soll mindestens die Hälfte der Lohnkosten vom Arbeitsamt übernommen werden, wenn für die Dauer der externen Weiterbildung eines Mitarbeiters ein Arbeitsloser eingestellt wird.

Trefflich streiten lässt sich auch über das neue Instrument der "Beschäftigung schaffenden Infrastrukturförderung". Dabei sollen Kosten bezuschusst werden, die dadurch entstehen, dass auf kommunaler Ebene Infrastrukturarbeiten unter Einsatz vom Arbeitsamt vermittelter Arbeitnehmer durchgeführt werden. Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen (ABM, SAM) haben sich in der Vergangenheit kaum bewährt. Sie ausgerechnet im Zusammenhang mit dem Job-AQTIV-Gesetz zu erweitern, lässt sich kaum nachvollziehen, auch wenn das Gesetz Förderkarrieren von Arbeitslosen durch dreijährige Auszeiten nach einer zwölfmonatigen ABM- oder SAM-Beschäftigung entgegen wirken will.

Der anerkennenswerte Mut, neue Wege zu erproben, erfordert aber auch, diese Experimente wissenschaftlich fundiert evaluieren zu lassen, um den Erfolg oder Mißerfolg dieser Maßnahmen einschätzen zu können. Die Wissenschaft hat dafür solides methodisches Instrumentarium entwickelt, das allerdings mit dem zugänglichen Datenmaterial steht und fällt. Zwar enthält das Gesetz Absichtserklärungen in dieser Richtung, es ist aber keineswegs gewährleistet, dass die unabhängige Arbeitsmarktforschung freien Zugang zu den Daten erhält.

In der amtlichen Eingliederungsbilanz soll jetzt neben der sogenannten Verbleibsquote (Verbleib in der Arbeitslosigkeit) auch die Eingliederungsquote (Verbleib in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung) genannt werden. Da beide Werte jedoch Resultat eines "Creaming-Effekts" sind (Konzentration der Arbeitsämter auf Personen mit guten Vermittlungschancen), sind sie für sich genommen nicht aussagekräftig genug. Sie genügen nicht den strengen wissenschaftlichen Anforderungen, die auf den statistischen Beweis abstellen, dass Arbeitmarktprogramme die Wahrscheinlichkeit für die Beteiligten erhöhen, eine dauerhafte reguläre Beschäftigung zu finden.

Gegenwärtig finden Gespräche zwischen Wissenschaft und Politik statt, um tragfähige Lösungen für den Datenzugang, die Bildung von Kontrollgruppen für den Abgleich von Programmteilnehmern und Nicht-Programmteilnehmern und den gesunden Wettbewerb der in der Arbeitsmarktforschung tätigen Institutionen zu finden. Ein klareres Bekenntnis zur Notwendigkeit umfassender Begleitforschung im Gesetzestext wäre wünschenswert gewesen - auch weil Deutschland in der Evaluationsforschung weit hinter den anderen Staaten rangiert. Eine systematische Evaluation von unabhängiger Seite sollte obligatorisch sein, denn sie ist ein entscheidender Schritt zur Verbesserung der Arbeitsmarktpolitik.

Das Job-AQTIV-Gesetz allein kann nicht alle notwendig erscheinenden Arbeitsmarktreformen regeln. So ließen sich Eingliederungsvereinbarungen und Profiling wesentlich konsequenter realisieren, wenn sie von Reformen der Arbeitslosenunterstützung und der Zusammenführung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe begleitet würden. Dadurch könnten beispielsweise kürzere Unterstützungszeiten sowie die Verpflichtung zur Arbeitsaufnahme eingeführt würden.

Ein erster Schritt wäre schon, im Rahmen der Eingliederungsverträge eine Aufteilung der Beweislast vorzusehen. Warum soll nur das Arbeitsamt den Nachweis seiner Vermittlungsbemühungen erbringen? Auch dem Arbeitslosen ist zuzumuten, seine Eigeninitiative stärker unter Beweis zu stellen, als bislang vorgesehen.

Hierfür ließen sich auch anreizorientierte Lösungen finden. Beispielsweise wäre es denkbar, im Falle der raschen und erfolgreichen Eigeninitiative des Arbeitslosen eine Überschußbeteiligung in Form von Qualifizierungsgutscheinen vorzusehen. Ein Anreizmechanismus wie dieser wäre eine sinnvolle Ergänzung zu dem im Job-AQTIV-Gesetz bereits vorgesehenen Negativanreiz einer dreimonatigen Sperrzeit bei der Arbeitslosenunterstützung für den Fall, dass die vom Arbeitsamt vermittelte Arbeit verweigert wird.

Das Job-AQTIV-Gesetz ist zweifellos ein wichtiger erster Schritt. Es wäre also ein Fehler, wenn es nicht konsequent in die Praxis umgesetzt würde. Genauso falsch wäre es, sich bereits jetzt mit dem Erreichten zufrieden zu geben und die grundlegende Reform der Arbeitsmarktordnung zu vertagen.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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