Die Arbeitsämter müssen ihre Aufgaben dringend neu definieren

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09. Februar 2002, Handelsblatt

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)
 

Deutlicher als durch die Ereignisse der letzten Tage kann die Konfusion der deutschen Arbeitsmarktpolitik nicht mehr dokumentiert werden. Die Nachricht, dass im Januar knapp 4,3 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet waren, geht angesichts der alarmierenden Berichte über massive fehlerhafte Angaben in der Vermittlungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit fast unter. Noch am vergangenen Freitag erwähnte der Kanzler bei seinem Vortrag vor dem Weltwirtschaftsforum in New York den Arbeitsmarkt mit keinem einzigen Wort. Auf Rückfrage verwies er auf die Absicht, bald Sozial- und Arbeitslosenhilfe zusammenzulegen.

Das konnte allerdings die Stimmung unter der Wirtschaftselite der Welt wenig beeindrucken: Deutschland als kranker Mann Europas galt in den Diskussionen weiter als unflexibel und ohne Perspektive. Dass dabei klischeehaft durchaus anerkennenswerte Reformansätze der deutschen Politik unterdrückt wurden, zeigt nur unser zentrales Imageproblem, weil eine kraftvolle, visionäre Arbeitsmarktpolitik fehlt. Das ist fatal, denn auch internationale Investitionsentscheidungen orientieren sich an diesem Bild. Die neuen Entwicklungen schädigen also nachhaltig das internationale Ansehen Deutschlands.

Viele wollen jetzt von den Mängeln gewusst haben. Manchen an der Evaluation von Arbeitsmarktpolitik interessierten Wissenschaftlern erscheint nun die zögerliche Freigabe von Daten für die Forschung in ganz neuem Licht.

Dabei ist eine Erklärung für die systematische Schönung der Statistik der gewachsene Rechtfertigungsdruck, unter dem die Bundesanstalt steht. Seit der Aufgabe ihres Vermittlungsmonopols 1994 steht sie in wachsender Konkurrenz zu privaten Vermittlern. Die Zahl der Vermittlungen als zentraler Leistungsindikator spielt dabei naturgemäß eine wichtige Rolle. Dazu passt, dass die jährliche Zahl der Vermittlungen seither um 25 Prozent gestiegen war, obwohl keine Reduktion der Dauer der Arbeitslosigkeit noch ihres Umfangs verzeichnet werden konnte.

3,8 Millionen Vermittlungen machten sich angesichts der 150 000 der privaten Konkurrenz gut - jetzt könnten es nur noch 1,5 Millionen sein. Es fällt auch auf, dass die Nutzung automatisierter Hilfen wie der Stellenbörse im Internet ohne Problematisierung der Vermittlung zugerechnet wurde. Diese Vorgänge signalisieren dennoch eine strategische Ausrichtung des Amts, die auch die laxere Erfassung der jetzt gerügten Art erklärt.

Somit stellt sich die Frage nach der Verantwortung und den Konsequenzen. Dabei helfen kurzfristige Rücktrittsforderungen nicht weiter. Zunächst besteht ein Bedarf nach voller Aufklärung. Die Bundesanstalt für Arbeit ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung, die der Rechtsaufsicht des Bundesarbeitsministers unterliegt. Ihre Verwaltungsgremien sind ein institutionalisiertes "Bündnis für Arbeit", denn drittelparitätisch wirken öffentliche Hand, Arbeitgeber und Gewerkschaften an der Formulierung der Grundzüge der Politik des Amtes mit. Ganz offensichtlich hat dieses "Bündnis" versagt und ist den wachsenden Ansprüchen nicht mehr gewachsen. Die beteiligten Parteien in den Kontrollgremien des Amtes können sich jetzt nicht aus der Verantwortung stehlen.

Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich der kritische Befund noch relevant verändert. Dennoch ist eine weitere Verifizierung angebracht. Die Vermittlungsquote ist ja nicht nur ein Leistungsindikator für das Personal der Anstalt. Es vermittelt auch Informationen für die Bewertung kostspieliger Arbeitsmarktprogramme. Die sind nun, wie der Rechnungshof sagt, deutlich weniger erfolgreich.

Nötig sind jetzt auch wissenschaftliche Untersuchungen, die die Veränderungen der Erfolgsbilanzen dieser Programme aufzeigen. Angesichts der Tatsache, dass die Nachhaltigkeit der Arbeitsmarktpolitik schon aufgrund der alten Datenbasis häufig wissenschaftlich umstritten war, muß man skeptisch sein, was an Erfolgen übrig bleibt.

Wichtig ist deshalb auch eine Stärkung der Datenverarbeitung und der Neuorganisation der statistischen Erhebung. Hier sollte gleich eine Anpassung der Erfassung von Arbeitslosigkeit nach international vergleichbaren Standards vorgenommen werden. Die Datenproduktion wäre jetzt auch so zu organisieren, dass ein externer Datenzugang für die externe Arbeitsmarktforschung an den Universitäten und den unabhängigen Forschungsinstituten möglich ist. Die mit der Produktion der Daten betraute Abteilung sollte, soweit möglich, von der operativen Vermittlung getrennt werden.

Das Forschungsinstitut der Bundesanstalt, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, sollte in seiner Forschungskapazität und Unabhängigkeit gestärkt werden. Es sollte aber nicht mehr die Hauptlast der Evaluation von Arbeitsmarktprogrammen tragen, die grundsätzlich im Wettbewerb öffentlich ausgeschrieben werden müßten.

Dienstleistungsagenturen des neuen Arbeitsamtes sollten sich kundenorientiert in drei Sparten engagieren: Die erste sind die unproblematischen Fälle: junge und gut ausgebildete Arbeitslose. Sie benötigen eine reine Versicherungsleistung und finden meist alleine einen neuen Job. Die zweite Sparte stellt auf die bekannten Risikogruppen ab: Menschen ohne Ausbildung, älter als 50 oder mit gesundheitlichen Einschränkungen. Sie müssen frühzeitig betreut werden. Die Betreuer benötigen hier besondere Kundennähe zu Firmen und Arbeitslosen. Hier sollte auch das Instrument der Eingliederungszuschüsse genutzt werden. So kann einer Verfestigung der Arbeitslosigkeit entgegengewirkt werden.

Die letzte Gruppe erfaßt Dauerarbeitslose: Menschen in der (neu zusammenzufassenden) Sozial- und Arbeitslosenhilfe. Hier handelt es sich nicht um Versicherungsleistungen, sondern um bisher vom Bund und den Gemeinden gewährte Unterstützungsleistungen. Für Arbeitsfähige sollten diese Leistungen nur noch in Verbindung mit einer regulären Beschäftigung gewährt werden, die von der Agentur angeboten wird.

Deshalb macht es Sinn, die Kommunen von ihren Aufgaben in diesem Zusammenhang zu entlasten. Für die letzten beiden Sparten sollten Vermittlungsprämien ausgelobt werden, die mit der Vermittlungsschwere steigen und die auch private Vermittler im Wettbewerb mit der staatlichen Dienstleistungsagentur erhalten können.

Wichtig beim Eintritt in die Arbeitslosigkeit sind die richtige Einordnung und die Zuteilung eines persönlichen Kundenbetreuers. Andere Aufgaben wie die Vermittlung von Qualifizierungen sollten von diesem Betreuer mit übernommen werden. Entscheidend ist ferner, die Institution vom Image einer Behörde zu befreien und regelmäßige Evaluationen zu etablieren: Innenrevision, externe Wirtschaftlichkeitsprüfung und wissenschaftliche Begutachtungen gehören dazu.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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