Wenn die Freiheit vorgeht

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15. Oktober 2016, Frankfurter Allgemeine Zeitung

(Mit Stellungnahme von Holger Bonin)
 

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In den vierteljährlich vom Archiv dieser Zeitung erstellten Tabellen spiegelt sich die hohe Nachfrage nach IT, die wachsende Bedeutung von Beratungsunternehmen und jene von Personaldienstleistern, die Personal zeitweise überlassen, wider. Andererseits ist zu erkennen, dass es in den traditionellen Bereichen einen Abbau gibt: bei klassischen Banken oder bei der Bahn. Ob am Ende dieser digitalen Revolution mehr oder weniger Arbeitsplätze stehen, weiß heute niemand und ist heiß umstritten. Für Holger Bonin, Chefkoordinator Arbeitsmarktpolitische Forschung am Institut zur Zukunft der Arbeit ITZA in Bonn, werden nicht ganze Berufe wegfallen, sondern eher einzelne Tätigkeiten dieser Berufe. Betroffen sind nach seiner Ansicht auch nicht in erster Linie die einfachen Arbeiten. Manuelle Tätigkeiten wie die des Kellners werde es auch in Zukunft geben, sagte Bonin auf dem 70. Deutschen Betriebswirtschafter- Tag der Schmalenbach-Gesellschaft in Düsseldorf. Gefährdet sei die Mitte. Das sei aber kein neues Phänomen. Wie groß die Gefährdung ist, blieb auf der Tagung umstritten. Bonin zitierte Untersuchungen, wonach bis zu 47 Prozent der heutigen Stellen gefährdet sind. Uschi Backes-Gellner von der Universität Zürich machte aber darauf aufmerksam, dass diese Untersuchungen meist aus den Vereinigten Staaten stammten und den dortigen spezifischen Verhältnissen geschuldet seien. In Amerika gebe es mangels einer berufliche Ausbildung viele angelernte Kräfte, deren Stellen in der Tat stark gefährdet seien. In Deutschland mit seiner auch im internationalen Maßstab führenden Berufsausbildung seien weit weniger Arbeitsplätze durch die Digitalisierung oder die Roboter gefährdet, weil die Menschen eine bessere Ausbildung hätten und damit auch eine bessere Voraussetzung zur lebenslangen Weiterbildung. "Europa ist für die digitale Transformation gut aufgestellt", glaubt Backes-Gellner und fand darin auch die Zustimmung Bonins. Zudem würde oft unterschätzt, dass neue Techniken über preiswertere Produkte auch wieder zu steigender Nachfrage und damit zu mehr Arbeitsplätzen führe. Das Fazit der Veranstaltung war, dass die digitale Vernetzung nicht das Ende der Arbeit darstelle, sie aber verändere - hin zu höheren Anforderungen und zu einem lebenslangen Lernen und einer Bereitschaft zur Veränderung. Eine weitere Veränderung auf dem Arbeitsmarkt könne sich aber aus einem höheren Anteil von Zeitarbeitskräften ergeben, eben dem Wunsch vieler Experten, als Quasi- Selbständige immer nur für zeitlich befristete Projekte eingestellt zu werden. "Dieses Crowdworking zerstört das Arbeitgeber-Arbeitnehmer- Verhältnis, was nicht alle wollen", sagte Bonin. Für Dieter Kempf, den ehemaligen Vorsitzenden des Vorstandes der Datev eG, wird Crowdworking - die Suche befristeter Stellen über Internetplattformen - daher auch nur ein begrenztes Phänomen für kleine, hochspezialisierte Menschen bleiben. In Deutschland liegt die Zahl der Crowdworker bei weniger als einem Prozent der abhängig Beschäftigten, in den Vereinigten Staaten allerdings bei 3 bis 5 Prozent.

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Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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