Wider das Festungsdenken

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21. Mai 2014, Kölner Stadt-Anzeiger

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 

Statt das Asylrecht zu verschärfen, sollte Deutschland in Europa besser der Wegbereiter für eine zukunftsorientierte Migrationspolitik sein

Deutschland verschärft - wieder einmal - sein Asylrecht, wenn es nach den Plänen des Bundesinnenministers geht. Geben wir damit die richtige Antwort auf die weltweiten Wanderungsbewegungen von Flüchtlingen und Migranten? Global befinden sich nach UN-Berechnungen derzeit mehr als 45 Millionen Menschen auf der Flucht. Wir stehen heute vermutlich am Beginn einer neuen großen Migrationswelle, deren Hauptursachen Kriege, Hunger und Naturkatastrophen, extreme wirtschaftliche Armut, soziale Verzweiflung und die Verfolgung von Minderheiten sind. Welche Antwort geben wir darauf?

Natürlich können wir nicht alle aufnehmen. Aber der Vorstoß des Bundesinnenministers wird nicht nur den humanitären Verpflichtungen nicht gerecht, sondern verstärkt das Image eines reichen, aber abweisenden Landes.

Richtig, die Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist zuletzt wieder gestiegen auf zuletzt knapp 130 000 Personen im letzten Jahr, doch das kann unser Land sehr wohl verkraften. Anfang der 90er Jahre lag diese Zahl mit mehr als 400 000 Asylbewerbern wesentlich höher. Vielen dieser Menschen geht es nicht um einen Daueraufenthalt in Deutschland, sondern um vorübergehenden Schutz.

Letztlich schadet eine rein auf Abwehr gerichtete Politik auch unseren ökonomischen Interessen. Denn ein guter Teil dieser Flüchtlinge und Asylsuchenden ist hoch qualifiziert. Dies gilt ebenso für den weiteren Kreis von derzeit rund 90 000 Personen, die aus guten Gründen nicht abgeschoben werden dürfen und von denen jeder Zweite bereits länger als sechs Jahre in Deutschland lebt.

Doch Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge dürfen bei uns in den ersten neun Monaten gar nicht arbeiten, danach scheitern sie in der Regel an der "Bevorrechtigung" anderer Arbeitnehmer, und erst nach vier Jahren Aufenthalt können sie ohne Einschränkung auf dem Arbeitsmarkt ihren Lebensunterhalt sichern. Bis dahin ist aber oftmals ihre Qualifikation, für die sich vorher niemand interessiert hat, infolge fehlender Berufspraxis entwertet. Warum jedoch sollte eine solche Fachkraft nicht eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, einer bezahlten Tätigkeit nachgehen und einen davon zu finanzierenden Sprachkurs besuchen? Sie könnte damit nicht nur dazu beitragen, ihren Unterhalt und den ihrer Angehörigen zu finanzieren, sondern wäre mit ihren erworbenen Kenntnissen und Erfahrungen bei einer späteren Rückkehr in das Herkunftsland auch beim weiteren wirtschaftlichen Aufbau dort eine wertvolle Hilfe. Eine solche Politik wäre nachhaltiger und würde zugleich glaubwürdig den Grundsatz unterstützen, dass wir alles tun müssen, die Lebensbedingungen in dem jeweiligen Heimatländern der Flüchtlinge selbst zu verbessern.

Derzeit stellt sich das deutsche Ausländerrecht als ein eher bürokratischer Flickenteppich dar. Von einer "Willkommenskultur" kann nicht ernsthaft gesprochen werden - und der Dimension der zukünftigen Herausforderungen trägt es ebenfalls nicht Rechnung.

Nicht nur Deutschland, Europa insgesamt gibt kein gutes Bild ab in der emotionsbeladenen Debatte um die Frage: Wie bieten wir jenen, die oftmals unter schwierigsten Bedingungen zu uns kommen, eine menschenwürdige Bleibe? Zwar ist Europa in seinem historischen und kulturellen Reichtum selbst ein Ergebnis vielfältiger ethnischer Wurzeln; doch in dem Streit, wie es die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen in den Mitgliedsstaaten regeln soll, ist von solidarischer Werte- und Verantwortungsgemeinschaft keine Rede mehr.

Das Thema ist unpopulär und eher geeignet, Ressentiments zu schüren, als damit Wahlen zu gewinnen. Aber nach den Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai gehören Migration und Asyl ganz oben auf die Agenda der Europäischen Kommission: Verstehen wir uns als Kontinent der Freiheit und der Menschenwürde? Oder eher als Festung, in die möglichst keiner hinein soll?

Europa muss die Weichen stellen für eine neue, abgestimmte, zukunftsorientierte Migrations- und Asylpolitik, die auch die Verpflichtungen und Aufgaben unter den EU-Mitgliedern fair verteilt. Dazu müssen die verantwortlichen EU-Minister Anfang Juni, wenn das Thema auf ihrer Tagesordnung steht, eine klare Entscheidung treffen, zumal in den nächsten Sommermonaten die Zahl der Asylsuchenden weiter zunehmen dürfte.

Die europäische Politik muss die Menschen darüber hinaus darauf vorbereiten, dass die Zahl der Flüchtlinge in den kommenden Jahren eher noch zunehmen wird und dass gleichzeitig der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften aus Nicht-EU-Staaten angesichts des demografischen Wandels kontinuierlich wächst. Sie muss die Bürger deshalb für eine größere Akzeptanz gegenüber diesen Migranten gewinnen und die ökonomischen Vorteile gezielter Zuwanderung besser darstellen. Es ist kontraproduktiv, solche Initiativen durch überzogene Asylrechtsänderungen zu konterkarieren.

Deutschland, das sich gern als ökonomische Lokomotive des Kontinents feiern lässt, sollte in der Debatte beispielgebend vorangehen, statt den Anstoß zu einem neuen Wettlauf um die schärfsten Asylbestimmungen zu geben.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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