IZA Tower Talk - Report

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Bedingungsloses Grundeinkommen „von der Wiege bis zur Bahre“?

Götz Werner | Hilmar Schneider
Dass soziale Visionen ein breites Publikum auch heute noch in ihren Bann zu schlagen vermögen, bewies der 19. IZA Tower Talk am 10. Dezember 2007 im Bonner PostTower. Vor einer Rekordkulisse referierte der Gründer und geschäftsführende Gesellschafter der Drogeriemarktkette „dm“, Götz Werner, über sein Konzept eines „bedingungslosen Grundeinkommens“. Nach Werners Vorstellungen, die in abgewandelter Form auch in Teilen von Wissenschaft und Politik diskutiert werden, soll jeder Bürger lebenslang einen Existenz sichernden, gesetzlich garantierten Grundbetrag erhalten, der an keinerlei Gegenleistung geknüpft ist. Dadurch bekomme der Bürger „eine Sicherheit, die ihm niemand mehr nehmen kann“, und es werde ein neues gesellschaftliches Klima geschaffen, in dem „Arbeit und Kapital als schöpferische Kräfte“ – so der Titel seines Vortrags – endlich befreit Wirkung entfalten könnten. Freiraumzuwächse, wie sie die technologische Entwicklung mit sich bringe, könnten so im Interesse der Gesellschaft für neue, selbstgewählte und deshalb mit besonderer Leistungsbereitschaft ausgeübte Tätigkeiten genutzt werden.

Heute seien solche Bedingungen zur Stimulation von Kreativität und wirtschaftlicher Dynamik angesichts eines zutiefst ungerechten Systems der direkten Einkommensbesteuerung de facto inexistent. Vielmehr werde ein systematischer „Knospenfrevel“ betrieben, indem der schöpferische Prozess, kaum dass er begonnen habe, bereits wieder durch aggressive Besteuerung des Faktors Arbeit erstickt werde. Als Alternative zum derzeitigen System und zur Finanzierung des Grundeinkommens möchte Werner die Besteuerung ausschließlich über - massiv erhöhte - indirekte Konsumsteuern vornehmen, während alle Formen der direkten Einkommensteuer abzuschaffen seien.
Auch Hilmar Schneider, IZA-Direktor für Arbeitsmarktpolitik, sprach sich für eine stärkere Verlagerung der Besteuerung auf indirekte Steuern aus, sah das Modell des bedingungslosen Grundeinkommens jedoch als eine unfinanzierbare Utopie an. Er verwies auf Berechungen des IZA, denen zufolge das Konzept selbst unter Berücksichtigung ausgeweiteter Konsumbesteuerung und einer veränderten Arbeitsmarktkonstellation aufgrund des Grundeinkommens eine Lücke von jährlich etwa 110 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt reißen würde. Werner verwies dagegen auf die Möglichkeiten einer Gegenfinanzierung durch entfallende Steuerfreibeträge und Sozialtransfers, Wichtig sei aber vor allem, dass den Menschen die „Mühen, Qualen, Ausgrenzung und Entwürdigung“ durch die Sozialstaatsbürokratie beim bedingungslosen Grundeinkommen erspart würden. Dessen denkbare Höhe bezifferte Werner mit 800 Euro nach heutigem Maßstab, wobei ein laufender Diskurs darüber entstehen müsse, was gesellschaftlich als Existenz sichernd und darüber hinaus als menschenwürdig erachtet werde. Werner räumte den visionären Charakter seines Modells ein, das sich nur langfristig umsetzen lasse, „indem wir revolutionär denken und evolutionär handeln“.